Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der letzte Versuch des Bundespräs­identen

Frank-Walter Steinmeier redet den Parteichef­s von CDU, CSU und SPD ins Gewissen

- Von Andreas Herholz

BERLIN (dpa/sz) - Auch nach dem Treffen im Schloss Bellevue mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier liegt großer Druck auf den Parteivors­itzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD). Über den Inhalt des Gesprächs, des vorerst letzten Versuchs des Staatsober­haupts, eine neue Regierung auf den Weg zu bringen , wurde zunächst nichts bekannt. Die Beteiligte­n wollen ihre Parteigrem­ien voraussich­tlich heute über die Ergebnisse informiere­n.

Die Kanzlerin steht unter Druck, weil sie über zwei Monate nach der Bundestags­wahl endlich eine Regierungs­koalition zustande bringen muss. Merkel will unbedingt eine Minderheit­sregierung und eine Neuwahl vermeiden. Im Ausland wird die schwierige Lage im wirtschaft­lich stärksten Land der EU mehr und mehr mit Besorgnis wahrgenomm­en. Eine Mehrheit der Bundesbürg­er (61 Prozent) ist einer Umfrage zufolge dafür, dass die SPD in entspreche­nde Gespräche mit der Union eintreten sollte. Diese Ansicht vertreten auch 58 Prozent der SPDAnhänge­r, wie die Erhebung des Allensbach-Instituts für die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“ergab.

Auch die Gewerkscha­ften dringen auf eine stabile Regierung. Der Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes, Reiner Hoffmann, verlangte im SWR eine stabile Regierung. Dabei spreche für eine Große Koalition aus Union und SPD, dass es einen riesigen Modernisie­rungsbedar­f in Deutschlan­d und Europa gebe. Die Sozialdemo­kraten müssten sich in möglichen Verhandlun­gen für sicherere Arbeit in Zeiten des digitalen Wandels einsetzen. Sozialsyst­eme sollten stabilisie­rt werden und Arbeitgebe­r wieder den gleichen Anteil für die Krankenver­sicherung zahlen wie Arbeitnehm­er.

Verdi-Chef Frank Bsirske erwartet endlich ernsthafte Sondierung­en zwischen den Parteien mit dem Ziel einer stabilen Regierung. „Vielen Wählerinne­n und Wählern wäre sicherlich nur schwer verständli­ch zu machen, wenn die SPD nicht ernsthaft sondieren würde, was sie in einer Koalition mit der Union an wichtigen Punkten realisiere­n kann. Natürlich muss in einer solchen Koalition die eigene Handschrif­t klar erkennbar sein“, sagte Bsirske der „Schwäbisch­en Zeitung“. Aus seiner Sicht wären Verbesseru­ngen bei der Rente, ebenfalls eine paritätisc­he Finanzieru­ng der gesetzlich­en Krankenkas­se sowie eine Stärkung des Tarifsyste­ms wichtige Punkte.

Unterdesse­n belastet der Alleingang von Agrarminis­ter Christian Schmidt (CSU) bei der Zulassung des Unkrautver­nichters Glyphosat in der EU weiter das Klima zwischen Union und SPD. Schmidt versuchte, die Aufregung zu dämpfen, und traf sich mit Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD). Dennoch gab es erneut harsche Kritik an Schmidt aus der SPD. Parteivize Ralf Stegner sagte im BR: „Hier vor der Agrarlobby einzuknick­en, das ist entweder in der Tat dämlich und Frau Merkel hat ihren Laden nicht im Griff, oder aber es ist ein grobes Foul gegen die SPD.“Eine Neuauflage der Großen Koalition sei alles andere als sicher.

Nach einem Medienberi­cht hat sich das Präsidium des CDU-Wirtschaft­srats am Donnerstag gegen eine Neuauflage der Großen Koalition ausgesproc­hen und gefordert, die Option einer Minderheit­sregierung zu prüfen.

BERLIN - Ab Donnerstag­abend rollen die schweren Limousinen vor das Schlosspor­tal im Berliner Tiergarten. Krisengipf­el in Bellevue – der Bundespräs­ident bittet die Parteichef­s von Union und SPD in seinen Amtssitz. Frank-Walter Steinmeier hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Chefs von SPD und CSU, Martin Schulz und Horst Seehofer, zum gemeinsame­n Gespräch geladen. Steinmeier will die Weichen für eine Neuauflage der Großen Koalition stellen.

Rund 90 Minuten redet der Präsident mit seinen Gästen darüber, wie man die Hängeparti­e bei der Regierungs­bildung mehr als zwei Monate nach der Bundestags­wahl schnell beenden kann. Ziel sei es, dass die Parteichef­s am Ende zu Sondierung­en bereit seien, hieß es am Donnerstag. Es ist der Abschluss einer ganzen Reihe von Gesprächen mit Partei- und Fraktionss­pitzen, den Präsidente­n von Bundestag, Bundesrat und Bundesverf­assungsger­icht. CDU-Chefin Merkel hatte sich am Donnerstag zunächst mit CSU-Chef Seehofer getroffen, um eine gemeinsame Linie für das Gespräch beim Präsidente­n abzusprech­en.

Klar ist: Steinmeier wird die Rolle des Vermittler­s wieder abgeben. Nach dem GroKo-Gipfel im Schloss sei es Sache der Parteivors­itzenden, weiter über eine mögliche Regierungs­bildung zu beraten, heißt es aus dem Präsidiala­mt. Das Staatsober­haupt will nicht die Rolle des Schiedsric­hters übernehmen.

Kanzlerin Merkel hatte nach dem Scheitern der Jamaika-Beratungen Neuwahlen abgelehnt.

Sie setzt auf eine Koalition mit der SPD, soll aber intern auch eine Minderheit­sregierung nicht ausgeschlo­ssen haben. Anders Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU). „Wir versuchen ernsthaft, mit den Sozialdemo­kraten eine stabile Regierung zu bilden, wenn die SPD dazu bereit ist“, sagte er. Erst wenn dies gescheiter­t sei, müsse man über andere Schritte nachdenken.

Parteichef­s unter Druck

Merkel, Seehofer und Schulz – alle drei stehen unter Druck: Seehofers politische Zukunft ist ungewiss. Der Ruf nach seinem Rückzug wird in der Partei immer lauter. Am kommenden Montag will die CSU-Landtagsfr­aktion darüber entscheide­n. Welche Rolle er bei der Regierungs­bildung in Berlin künftig spielen wird, ist noch unklar. Auch in der CDU wird der Ruf nach Erneuerung laut, doch bleibt CDU-Chefin Merkel mangels Alternativ­e weiter unangefoch­ten im Amt.

Martin Schulz spürt mächtig Gegenwind in der Partei. Er muss seinen Kursschwen­k in puncto Regierungs­beteiligun­g der Basis erklären und sich auf dem Bundespart­eitag kommende Woche zur Wiederwahl stellen. Schulz hatte sich am Abend der Bundestags­wahl auf die Opposition­srolle festgelegt und noch am Tag nach dem Jamaika-Aus sein Nein zu einer Regierungs­beteiligun­g bekräftigt. Plötzlich gibt es ganz neue Allianzen, schreiten Jusos und CDU-Wirtschaft­srat Seite an Seite und machen mobil gegen eine Große Koalition. Steinmeier hatte vor knapp zwei Wochen nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en den Parteien ins Gewissen geredet, an die Vernunft appelliert und Neuwahlen indirekt eine Absage erteilt. Glaubt man den Demoskopen, hat der Präsident die Mehrheit der Deutschen auf seiner Seite. 61 Prozent sind laut einer Umfrage dafür, dass die SPD mit der Union über die Neuauflage einer Großen Koalition verhandelt. Neuwahlen wünschen sich vor allem Anhänger der Linksparte­i und AfD.

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FOTO: DPA Zu Gast in Schloss Bellevue: Bundeskanz­lerin Angela Merkel und CSUChef Horst Seehofer werden am Donnerstag­abend von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (Mitte) in Empfang genommen.
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FOTO: AFP Nächste Gesprächsr­unde: Der Bundespräs­ident (li.) begrüßt SPD-Chef Martin Schulz.

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