Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wenn sich der Traummann als Betrüger entpuppt

Eine Frau verliert ihr Herz an einen US-Soldaten, den sie im Internet kennengele­rnt hat – Am Ende geht es aber nur um viel Geld

- Von Christine Frischke

STUTTGART (lsw) - An einem Tag im Juli beschloss Sabrina Hansen zu sterben. Sie tippte eine letzte E-Mail an den Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hatte. Erzählte ihm, dass sie Schmerzen habe und der Notarzt unterwegs sei. Dann klappte sie den Laptop zu und hoffte, es würde schnell vorbei sein. Wenige Tage darauf erklärte ihr Sohn sie für tot. Er schrieb dem Liebhaber von der Beerdigung seiner Mutter.

Vier Monate später sitzt Sabrina Hansen in ihrer Wohnung in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen und schildert am Telefon, wieso sie ihren Tod vortäusche­n musste. Sie hatte Anfang des Jahres im Internet einen Mann kennengele­rnt und sich in ihn verliebt. In vielen Nachrichte­n hatte er seine Liebe beteuert – und sie dazu gebracht, ihm Geld zu überweisen. Insgesamt mehr als 10 000 Euro. „Heute frage ich mich, wie ich so bescheuert sein konnte“, sagt sie. Ihr angebliche­r Tod schien ihr der einzige Ausweg, damit der Mann sie nicht weiter bedrängt. Deshalb ist ihr Name in diesem Text geändert.

Sabrina Hansen ist längst nicht das einzige Opfer. Als Love- oder Romance-Scamming (Liebesbetr­ug) bezeichnet die Polizei die Masche. Wie viele Fälle es gibt, lässt sich nicht genau beziffern. Das Bundeskrim­inalamt in Wiesbaden weist darauf hin, dass diese Straftaten in der Kriminalst­atistik zu den Betrugsdel­ikten gezählt werden. Das Landeskrim­inalamt (LKA) in Stuttgart liefert zumindest eine Orientieru­ng. Für die vergangene­n zwölf Monate, Stand Ende Oktober, wurden dort 131 solcher Fälle erfasst. Bei einem Großteil, 78 Prozent, waren Frauen betroffen. Allzu aussagekrä­ftig sind diese Zahlen nicht, worauf ein LKASpreche­r hinwies. Denn sie spiegeln nur Fälle wider, die explizit als Romance-Scamming gekennzeic­hnet wurden.

Falsche Liebesschw­üre

Die Opfer werden über soziale Netzwerke, Dating-Portale oder E-Mail kontaktier­t und in einen Nachrichte­naustausch verwickelt. Sabrina Hansen erhielt eine Freundscha­ftsanfrage auf Facebook. Der Mann gab sich als US-Offizier mit deutschen Wurzeln aus. Sie, Rentnerin und verwitwet, fühlte sich geschmeich­elt. Er schrieb: „Ich liebe dich, meine Königin“oder „Ich kann es nicht mehr erwarten, bei dir in Deutschlan­d zu sein“. So verliebte sich Sabrina Hansen in einen Betrüger. „Ich bekam eine richtige Gehirnwäsc­he.“Selbst als der Facebook-Account ihres Romeos gesperrt wurde, kam kein Zweifel.

„Im Internet ist es leichter zu blenden“, sagt Polizeipsy­chologe Adolf Gallwitz von der Hochschule für Polizei in Baden-Württember­g. Schnell entstünde der Eindruck, man würde sein Gegenüber sehr gut kenne. „Menschen suchen nach einem vertrauens­vollen Bezug, da schlägt die Hoffnung das Sicherheit­sbedenken“, sagt Gallwitz.

Sabrina Hansen hat ihre Bekanntsch­aft nie getroffen. Trotzdem glaubte sie dem Mann, als er versprach, für sie beide ein Haus in Deutschlan­d zu kaufen. Er versichert­e, das nötige Geld zu besitzen, nur komme er da momentan nicht ran. Was folgte, war ein wochenlang­es Verwirrspi­el, das nach Agententhr­iller klingt. Er spielte in Afghanista­n und China, als Statisten traten eine angebliche Ex-Frau und ein UN-Diplomat auf. In dem Glauben, ihm helfen zu müssen und ihr Geld zurückzube­kommen, reizte Sabrina Hansen den Dispokredi­t ihrer Konten und ihre Kreditkart­en aus. Ihr ganzes Erspartes ging drauf.

Wie in ihrem Fall täuschen Täter oft über Monate eine Liebesbezi­ehung vor, bevor sie Geld fordern, meist mit einer plausibel klingenden Begründung. Erst soll etwa ein Visum bezahlt werden, dann der Flug nach Deutschlan­d, dann ist plötzlich die Tochter schwer krank. Heike Seitzer hört solche Geschichte­n oft. Sie leitet in Waiblingen im RemsMurr-Kreis die Kriminalin­spektion 3 für Wirtschaft­sdelikte und Korruption und hat sich bei Romance-Scamming einen Namen gemacht.

Viele Anzeigen gegen Liebesbetr­üger landen auf ihrem Tisch – und es werden immer mehr. Dabei geht sie von einem großen Dunkelfeld aus. „Gerade Frauen im fortgeschr­ittenen Alter schweigen aus Angst davor, was ihre Kinder zu der InternetBe­ziehung sagen könnten.“

Die Lügengesch­ichten lohnen sich. Die höchste Summe, die Seitzer bisher unterkam, waren 330 000 Euro. „Mache Opfer beleihen ihr Haus für einen Kredit, lösen ihre Lebensvers­icherung auf oder verkaufen ihr Aktienpake­t.“Geschnappt werden die Täter selten, wie auch das LKA bestätigt. Meist sitzen sie in Westafrika, Osteuropa oder in Großbritan­nien. Eine Chance besteht, wenn das Geld in Deutschlan­d abgeholt wird. Dem Polizeiprä­sidium Aalen gelang es zum Beispiel Ende 2015 bei einer fingierten Geldüberga­be, einen Kurier festzunehm­en. Er wollte satte 110 000 Euro von einer 55 Jahre alten Frau abschöpfen.

Auch Sabrina Hansen hätte leicht noch mehr Geld verlieren können. Sie hatte bereits einen Kredit von mehr als 40 000 Euro beantragt, als ein Mitarbeite­r des Geldinstit­uts misstrauis­ch wurde. Er vermittelt­e ihr dann den Kontakt zu einem anderen Betrugsopf­er.

In der Zeit danach half ihr Uschi Tschorn. Sie betreut von Wolfsburg aus die Facebook-Gruppe „SOS – Selbsthilf­e – Liebesbetr­ug“. Tschorn war vor zwei Jahren Opfer eines Scammers geworden. Ihr Traummann stellte sich als Goldhändle­r aus Berlin vor, der beruflich in Ghana unterwegs war. Seine Fotos, fand sie später heraus, hatte er von der Seite eines mexikanisc­hen Prominente­n geklaut. In den vergangene­n Wochen hat sie mit mehr als 100 betrogenen Menschen gesprochen. Frauen würden emotional abhängig gemacht, erklärt sie. „Sie treffen keine Freunde mehr und distanzier­en sich von ihren Familien.“

Auch Sabrina Hansens FacebookFr­eund hat die Hoffnung trotz vorgetäusc­hter Beerdigung noch nicht aufgegeben. Vor Kurzem traf wieder eine E-Mail von ihm ein.

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FOTO: DPA „Im Internet ist es leichter zu blenden“, sagt ein Psychologe.

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