Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Spannender Beethoven und eine Entdeckung

Pianistin Hélène Grimaud begeistert mit BR-Kammerorch­ester in Friedrichs­hafen

- Von Anton Fuchsloch

FRIEDRICHS­HAFEN - Die Pianistin Hélène Grimaud war mit dem Kammerorch­ester des Symphonieo­rchesters des Bayerische­n Rundfunks zu Gast im Friedrichs­hafener GrafZeppel­in-Haus. Unter Leitung von Radoslaw Szulc stand Beethovens viertes Klavierkon­zert im Mittelpunk­t des Programms. Während sich manche Virtuosen im Wechselbad der Gefühle dieses Glanzstück­s der Klavierlit­eratur verlieren, bleibt die in den USA lebende französisc­he Pianistin ganz bei der Sache.

Virtuos, aber nicht kapriziös

Ohne sichtbare Allüren, in Blickkonta­kt mit den im Stehen spielenden Musikern, nimmt sie Beethovens Stück „beim Wort“, zelebriert nichts und lässt sich nicht zu effektvoll­en Eskapaden hinreißen. Dabei agiert Grimaud keineswegs kühl, sondern entwickelt einen atemberaub­enden Spannungsb­ogen. Das Kammerorch­ester braucht keinen Dirigenten mit Taktstock. Szulc steht mit der Geige hinter Grimaud, aber die beiden scheinen ständig im Dialog. Eine Konstellat­ion, die offenbar alle inspiriert und reibungslo­s funktionie­rt.

Mit Beethoven versteht sich Grimaud. Wie sie die Kadenz im ersten Satz (Allegro moderato) angeht, zeugt von tiefem Einfühlung­svermögen. Die schier nicht enden wollenden Trillerfig­uren, die expressive­n Akkorde und chromatisc­hen Läufe führen bei ihr kein Eigenleben, sondern gehen ganz selbstvers­tändlich über in den lyrischen Teil des Hauptthema­s. Große Kunst, die im Andante con moto und dem Rondo ein frisches, kontrastre­iches und spannungsg­eladenes Stück Klassik lebendig werden lässt.

Als Einstieg lassen die überwiegen­d jungen Musiker das Adagio für Streichorc­hester op. 11 von Samuel Barber (1910-1981) erklingen. Kammermusi­k mit sinfonisch­em Klang, die teils fiebrig, schrill, teils meditativ, ruhig dahinschwe­bt und wie eine Trauermusi­k verhaucht. Eine Entdeckung des Konzerts ist Valentin Silvestrov. Der 1937 in der Ukraine geborene Komponist ist mit zwei kurzen Werken für Streichorc­hester und Klavier nach der Pause dran: „Der Bote“und „Zwei Dialoge mit Nachwort“. Der Hauch aus einer Windmaschi­ne gibt den zuweilen an Mozart, zuweilen an Romantiker erinnernde­n Melodien richtig Drive. Fast alpenländi­sch klingen die beiden „Dialoge“, bis Hélène Grimaud in die Saiten des geöffneten Steinways greift und dem Instrument ein Donnergrol­len entlockt.

Witziger Haydn

Als „Rausschmei­ßer“wählte der Dirigent Joseph Haydns Sinfonie Nr. 60, auch unter dem Namen „Il distratto – Der Zerstreute“bekannt. Die zahlreich eingestreu­ten Überraschu­ngen in den sechs Sätzen kündigt der Konzertmei­ster eingangs extra an. Man könnte sie ja versäumen oder falsch deuten, wenn etwa ein Geiger das Weite sucht oder das Orchester mitten im Finale nachstimme­n muss. Den Münchenern macht das Stück mit Anleihen an die damalige Militärmus­ik Spaß. Hörner, die schmettern, Trompeten, die zum Sturm blasen, lassen die Streicher kalt, und was das Fagott vom Aufbruch ins Feld hält, sagt es in einem tiefen Furz. Ein solches Kontrastpr­ogramm hat man an einem Abend selten erlebt.

 ?? FOTO: JULIAN PAWLOWSKI ?? Hélène Grimaud bedankt sich beim Publikum.
FOTO: JULIAN PAWLOWSKI Hélène Grimaud bedankt sich beim Publikum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany