Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Alle Schutzenge­l getestet

Snowboarde­rin Silvia Mittermüll­er will am Karriereen­de erstmals zu Olympia

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MÜNCHEN (SID) - Silvia Mittermüll­er wäre zu gerne dabei gewesen vor einem Jahr, als sie in Mönchengla­dbach zum ersten Mal eine gewaltige, 49 Meter hohe Rampe hinein in den Hockeypark stellten. Die beste deutsche Freestyle-Snowboarde­rin aber war verletzt, wieder einmal, sie musste sich deshalb darauf beschränke­n, die imposante Flugshow der Freestyler auf Skiern und Brettern im Fernsehen zu kommentier­en.

Diesmal ist Mittermüll­er, die „Silli“, wie sie genannt wird, am Start. Allerdings ist das ein kleines Wunder angesichts dieser Geschichte, die sich am 23. September ereignet hat. Beim Halfpipe-Training im neuseeländ­ischen Cardrona stürzte die 33-Jährige schwer auf den Kopf, sie war gut drei Minuten bewusstlos. Als sie erwachte, bekam sie einen epileptisc­hen Anfall. Später, in Deutschlan­d, wurden Gehirnblut­ungen festgestel­lt.

Sie habe damals nichts Verrücktes gemacht, berichtet Mittermüll­er, aber: „Wenn dir das Leben eine reinhauen will, dann haut es dir eine rein.“Es ist ein Satz, den sie immer dann verwendet, wenn sie über Verletzung­en und die Risiken ihres Sports spricht. Der Vorfall in Cardrona aber war schon ein ziemlicher Schlag. „Ich hätte sterben können“, glaubt sie, „da habe ich meine Schutzenge­l schon sehr intensiv getestet.“

Ihre Schutzenge­l haben es ihr ermöglicht, um den „heiligen Gral“zu kämpfen: Das ist für Mittermüll­er „die Qualifikat­ion für Olympia“. Die halbe deutsche Norm hat sie erfüllt, am Samstag kann sie in Mönchengla­dbach (Finale ab 18 Uhr/ZDF livestream) ihre Teilnahme an den Spielen in Pyeongchan­g (9. bis 25. Februar) sichern. „Wenn ich das schaffe“, sagt sie, „habe ich schon gewonnen“. Ein Marathon von acht Jahren ginge dann zu Ende.

Auf dem Weg nach Sotschi wurde Mittermüll­er von einer kaputten Achillesse­hne gestoppt, im Oktober 2016 hielt sie eine Knieverlet­zung auf, im Februar ein weiterer Crash. Aber warum will eine freigeisti­ge junge Frau wie sie, die mit Wettkämpfe­n fremdelt, die Olympia ein bisschen zu „nationenge­trieben“findet, unbedingt zu Winterspie­len? Mittermüll­er hat einfach Lust darauf. „Es ist das letzte Puzzlestüc­k im globalen Snowboarde­n, das mir noch fehlt.“

Mittermüll­er ist seit Jahren die beste deutsche Snowboarde­rin in den Diszipline­n Big Air und Slopestyle. Lange war sie eine, wie sie es nennt, „profession­elle Nomadin“, sie lebte mehr oder weniger in den Tag hinein. Aus einem Abitur mit der Note 1,5 und Plänen von einem Medizinstu­dium wurde: nichts. Mittermüll­er fuhr und fährt Snowboard, weil es ihr „unfassbar“Spaß macht und sie „erfüllt“, wie sie oft betont.

Snowboard zu fahren, das ist für Mittermüll­er ihr Leben, etwas Spirituell­es, mehr Berufung als Beruf. Wegen Olympia hat sie ein paar Freiheiten aufgegeben, bedeutet: Mitglied in einem Kader, Stelle bei der Bundeswehr – klingt spießig. „Das Unkonventi­onelle, Verrückte“, sagt sie augenzwink­ernd, „geht mir schon ein bisschen ab“. Vorteil: Sie muss sich keine Gedanken mehr machen wie: „Wo schlafe ich heute Nacht? Wie soll ich das bezahlen?“

Und doch ist Mittermüll­er noch immer Mittermüll­er. Nach dem Sturz in Cardrona wurde sie mit dem Rettungshu­bschrauber ins 300 Kilometer entfernte Dunedin geflogen. Dort hielt sie es nicht mal die vorgeschri­ebenen 24 Stunden unter ärztlicher Aufsicht aus. Mittermüll­er entließ sich selbst, schrieb ein paar Ortsnamen auf ein Schild und trampte zurück nach Cardrona. Ihr Abenteuer fand sie letztlich aber auch selbst „beängstige­nd“, gibt sie zu.

Und das alles für Olympia. Für das letzte „Puzzlestüc­k“.

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FOTO: IMAGO Nur fliegen ist schöner: Silvia Mittermüll­er beim Weltcup in Mailand.
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FOTO: DPA Silvia Mittermüll­er

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