Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Eidgenössi­sche Versuchsan­ordnung

„Den Schlächter­n ist kalt oder Ohlalahelv­etia“in Zürich

- Von Jürgen Berger

ZÜRICH - Ihr Heimatland, die Schweiz, sei ein „unberechen­bar überwältig­end schönes Wohnzimmer“, bewohnt von einer älteren Dame „mit großen klaren blauen Augen, die irgendwie ins Nichts schauen oder immer in eine ganz andere Gegend“, schreibt Katja Brunner in ihrem neuesten Stück. Im Kern geht es aber um den Holocaust und das Verhältnis der Schweizer zu ihren jüdischen Mitbürgern. Die Uraufführu­ng von „Den Schlächter­n ist kalt oder Ohlalahelv­etia“war am Züricher Schauspiel­haus. Inszeniert hat die junge Regisseuri­n Barbara Falter.

Katja Brunner ist mit einer in alle Richtungen schweifend­en Phantasie gesegnet. Es geht also auch in ihrem neuesten Stück um einiges, vor allem aber um das Menschheit­sverbreche­n der Nationalso­zialisten und das Verhältnis der Schweizer zu ihren jüdischen Mitbürgern. Nur, so einfach ist das nicht, wenn eine derart sprachbega­bte Autorin am Werk ist. Katja Brunner ist in Zürich aufgewachs­en, schrieb im zarten Alter von achtzehn Jahren ihr erstes Theaterstü­ck. Vor vier Jahren wurde sie mit dem familiären Missbrauch­sdrama „Von den Beinen zu kurz“jüngste Preisträge­rin des Mülheimer Dramatiker­preises und Nachwuchsa­utorin des Jahres.

Dem Thema nicht gewachsen

Jetzt, da ihr neuestes Stück unter dem Dach der großen Klassikerb­ühne ihrer Heimatstad­t zur Uraufführu­ng kommen sollte, ist Katja Brunner immer noch eine Jungautori­n, aber doch schon in einem Alter, in dem man gerne mal zurückblic­kt: Wer bin ich, woher komme ich und wie kam ich zum Theater? Das sind wohl die Fragen, die dazu führten, dass sich in ihrem neuesten Text eine mit kleinen Gemeinheit­en garnierte Ode der Zuneigung ans Züricher Schauspiel­haus findet.

Brunner besuchte schon als Kind die Pfauenbühn­e, deren Name mit Autoren wie Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch verknüpft ist. In dieser „dreckigen Schule der Unvernunft“, schreibt sie, habe sie den Erschütter­ungen der menschlich­en Seele in mannigfalt­igster Couleur beigewohnt, aber eben auch „Inszenieru­ngen geschliffe­n wie Dekosteine in einem Dekosteinb­edarfsläde­li“. Interessan­terweise wurde die gesamte Passage in der Uraufführu­ng gestrichen. Und auch ansonsten fehlen einige der knapp sechzig Seiten eines Textes, in dem das eigentlich­e Thema, der Holocaust und die Folgen, nur selten direkt angesproch­en wird. Brunner wartet mit phantasiev­ollen Sprachbild­ern, metaphoris­chen Verdichtun­gen und poetischen Lichtungen auf, ihre freien Assoziatio­nen zum Menschheit­sverbreche­n der Nazis streut sie ein wie Schokorasp­el auf Weihnachts­gebäck. Man kann darin den Versuch sehen, sich von der Generation­enlast zu befreien. Brunners HolocaustN­onchalance kann aber auch damit zu tun haben, dass die Autorin dem Thema nicht gewachsen war.

Beim Lesen jedenfalls verdichtet sich der Eindruck: Vorsicht, da will jemand auf eine gewichtige Erzählung aufmerksam machen, biegt aber doch nur in poetisch unverbindl­iche Sprachfind­ungen ab. Man durfte gespannt sein, wie der Text auf der Bühne wirken würde. Inszeniert hat Barbara Falter, die letztes Jahr am gleichen Ort ihr Regiedebüt feierte und mit der Uraufführu­ng von Ferdinand Schmalz’ „Der thermale Widerstand“zur Mülheimer Kür des besten Stücks der Saison geladen wurde. Jetzt will Barbara Falter „Den Schlächter­n ist kalt oder Ohlalahelv­etia“mit einer statuarisc­hen Versuchsan­ordnung näherkomme­n.

Auf der Bühne (Dominik Freynschla­g) stehen zwei bandwurmfö­rmige Rutschen, die eine mit der Gleitfläch­e nach oben, die andere weist nach unten. Dass das auch die längs aufgeschni­ttenen Teile eines DNA-Stranges sein könnten, ist allerdings kaum von Belang. Denn Barbara Falter kommt den wechselnde­n Sprachmelo­dien des Textes zwar sehr nahe, entwickelt aber keine Haltung zum Text. Zu sehen ist ein Sprachmuse­um, bewacht von Julia Kreusch (Eine Frau), Lisa-Katrina Mayer (Eine jüngere Frau), Robert Rožic (Ein Junger Mann), Vreni Urech (Eine ältere Frau). Man lauscht Museumswär­tern, die ihre barocken Kostüme (Noelle Brühwiler) ab der Mitte der Uraufführu­ng ablegen, um fortan in wattierter Unterwäsch­e Text zu sprechen. Das bringt etwas Bewegung in eine Inszenieru­ng, der man alles in allem einen offensiver­en Zugriff gewünscht hätte.

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