Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Teurer Energietra­um: der Fusionsrea­ktor Iter

Die Verantwort­lichen sehen das Projekt inzwischen auf Kurs – doch andere halten es für ein Milliarden­grab

- Von Sebastian Kunigkeit

SAINT-PAUL-LES-DURANCE (dpa) Auf der Baustelle tut sich was. Nordöstlic­h von Aix-en-Provence in Südfrankre­ich wachsen die Gebäude für den internatio­nalen Kernfusion­sreaktor Iter in die Höhe, der nach Ansicht seiner Befürworte­r die Antwort auf das Energiepro­blem der Menschheit sein könnte. Der riesige Betonring im Zentrum ist inzwischen so gut wie fertig und lässt das Ausmaß der Maschine erahnen, die dort später einmal die Energiepro­duktion der Sonne nachahmen soll. Die Hälfte der Arbeiten auf dem Weg zum Erstbetrie­b im Jahr 2025 sei inzwischen geschafft, teilten die Verantwort­lichen kürzlich mit.

Iter-Chef Bernard Bigot räumt ein, dass das vor allem eine symbolisch­e Wegmarke ist. Es geht ihm darum, Fortschrit­te zu demonstrie­ren, denn das Projekt steht wegen Kostenexpl­osion und Verzögerun­gen seit Jahren unter Rechtferti­gungsdruck. Nach langem Stillstand auf der Baustelle herrscht inzwischen Aufbruchst­immung: „Seit zwei Jahren rockt das richtig“, sagt eine Mitarbeite­rin.

Brennstoff im Überfluss

Strom für Milliarden, klimafreun­dlich und ungefährli­ch: so die Verheißung, mit der die Fusionsfor­schung die Menschheit lockt. Die Verschmelz­ung von Wasserstof­f-aAomkernen zu Helium soll enorme Mengen Energie freisetzen. Der Brennstoff ist im Überfluss vorhanden, Wasserstof­f im Volumen einer Ananas könnte so viel Energie schaffen wie 10 000 Tonnen Kohle. Und das ohne klimaschäd­liche CO2-Emissionen oder das Risiko einer Kernschmel­ze wie in Atomkraftw­erken.

Kritiker sehen Iter dagegen als Milliarden­grab, die Kosten sind von ursprüngli­ch angepeilte­n 5 auf schätzungs­weise 20 bis 22 Milliarden Euro gestiegen. Kritiker unken zudem, dass die Fusionsene­rgie schlicht zu spät komme, weil sie, wenn überhaupt, erst in Jahrzehnte­n einsatzfäh­ig sei. Die Treibhausg­asemission­en müssten im Kampf gegen den Klimawande­l aber schon vorher deutlich sinken, und die erneuerbar­en Energien hätten sich bis dahin durchgeset­zt, lauten die Argumente. „Es ist kein Erfolg, wenn man verkündet, dass ein Rohrkrepie­rer nun zur Hälfte fertiggest­ellt ist“, kommentier­t denn auch Sylvia Kotting-Uhl, Atomexpert­in der Grünen im Bundestag. Sie fordert von der nächsten Bundesregi­erung den Ausstieg aus dem internatio­nalen Projekt.

Bigot weiß, dass vor der zweiten Hälfte dieses Jahrhunder­ts keine massive Stromprodu­ktion mit Fusionskra­ftwerken denkbar ist, glaubt aber, dass die Menschheit bis dahin noch keine Lösung für das Energiepro­blem gefunden haben werde. In einer Welt mit bald mehr als acht Milliarden Menschen könnten die Erneuerbar­en allein den Bedarf nicht decken. „Wir brauchen eine Alternativ­e zur massiven Produktion von Energie, und so bald wie möglich.“

Das Verfahren ist technisch anspruchsv­oll: Der Brennstoff soll bei Iter auf etwa 150 Millionen Grad Celsius aufgeheizt werden, das entstehend­e heiße Plasma muss von extremen Magnetfeld­ern berührungs­frei in der Brennkamme­r eingeschlo­ssen werden. Der Weg der Fusionsene­rgie ist lang, die erste kontrollie­rte Kernfusion gab es bereits vor mehr als 25 Jahren im britischen Culham. Der Experiment­alreaktor in Südfrankre­ich soll nun erstmals mehr Energie erzeugen, als für das Aufheizen des Wasserstof­fplasmas benötigt wird.

Ein Problem des Forschungs­projektes, das auf ein Treffen von USPräsiden­t Ronald Reagan mit dem sowjetisch­en Generalsek­retär Michail Gorbatscho­w im Jahr 1985 zurückgeht, ist die komplizier­te Organisati­on. Mehr als 30 Länder sind beteiligt: EU, USA, Russland, China, Japan, Indien und Südkorea – und alle sollen möglichst gleichmäßi­g von dem Mammutvorh­aben profitiere­n.

Viele Köche am Herd

Deshalb leisten die Partner ihren Beitrag größtentei­ls durch die Herstellun­g und Anlieferun­g von Komponente­n, was die heimischen Industrien stärken soll. Der 18 Meter hohe Magnet im Herzen von Iter wird etwa in Kalifornie­n gebaut und in sechs Modulen nach Frankreich geschafft. Ein Vakuumbehä­lter wird zum Teil in Südkorea hergestell­t.

Der französisc­he Verwaltung­sfachmann Bigot wurde 2015 geholt, um das Projekt wieder auf Kurs zu bringen. Er will wie bei großen Industriep­rojekten arbeiten, warf den vorherigen Zeitplan, der nicht realistisc­h gewesen sei, über den Haufen und straffte die Abläufe. Zuletzt seien alle vereinbart­en Meilenstei­ne erreicht worden. Das erste Plasma ist nun für 2025 angesetzt, und auch dieser Plan ist auf Kante genäht. Die Mischung aus Wasserstof­fvarianten wird wohl erst zehn Jahre später brennen. Auf Grundlage dieser Erfahrunge­n könnte dann ein Demonstrat­ionskraftw­erk entstehen, in dem erstmals Strom aus Fusionsene­rgie erzeugt wird.

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FOTO: ITER ORGANIZATI­ON /DPA Die Baustelle des Fusionsfor­schungsrea­ktors Iter in Saint-Paul-lès-Durance.

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