Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Klassentre­ffen der Wiener Schule(n)

Das Württember­gische Kammerorch­ester spielt mit Geiger Alexander Janiczek Werke aus Klassik und Moderne

- Von Dagmar Hub

ULM - Das Württember­gische Kammerorch­ester Heilbronn (WKO) ist bekannt dafür, mit renommiert­en Künstlern zusammenzu­arbeiten. Auch bei seinen regelmäßig­en Ulmer Gastspiele­n. Beim Konzert „Wiener Schule“im Kornhaus trat der Geiger Alexander Janiczek als Solist wie auch zugleich als umsichtige­r Leiter des Orchesters auf. Eine außergewöh­nliche Kombinatio­n, lenkte der Österreich­er das Württember­gische Kammerorch­ester doch – im „Play and lead“-Prinzip – über weite Teile sitzend vom Platz der ersten Geige aus. Janiczek, der selbst eine 1731 gebaute GuarneriGe­ige spielt, hatte im Vorfeld des Konzerts mit dem Orchester Werke der Wiener Klassik sowie eines der Wiener Schule der Moderne erarbeitet.

Warum Anton Weberns 1909 komponiert­e „Fünf Sätze für Streichqua­rtett op. 5“noch 1922 in Salzburg zu Protesten samt Schlägerei und Saalräumun­g geführt hatten, ist fast 100 Jahre später nicht leicht nachzuvoll­ziehen, stellten diese fünf kurzen Sätze doch einen der Höhepunkte des Konzerts dar. Freilich benötigt die expressive Musik der freien Atonalität des Schönberg-Schülers Webern ein anderes Hören: Glasklare Töne in radikaler Knappheit, ungewöhnli­che Spielweise­n der musikalisc­hen Avantgarde – beispielsw­eise mit dem Holz des Bogens oder direkt am Steg der Streichins­trumente – erklingen da, verflochte­n immer wieder auch mit kurzen, fast klassisch anmutenden Tonfolgen.

Ist Anton von Webern der zweiten Wiener Schule zuzuordnen, so hatten Janiczek und das WKO für die anderen Teile des Konzerts Werke zweier großer Vertreter der Wiener Klassik gewählt, Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart. Die Gegenübers­tellung der Kompositio­nen offenbarte Überrasche­ndes: Hört man in die Werke Haydns genau hinein, zeigen dessen Werke aus einer Zeit, in der noch nicht wirklich festgelegt war, was eine Sinfonie genau definiert, ein erstaunlic­hes Experiment­ieren mit Tempi und Rhythmen. Gerade Haydns 4. Sinfonie in D-Dur, die ungewöhnli­cherweise nur drei Sätze umfasst, spielt mit verblüffen­dem Tempowechs­el. Diese Sinfonie hatte das Württember­gische Kammerorch­ester im Kornhaus erstmals in seinem Repertoire – mit Brillanz.

Zu einer kleinen Unstimmigk­eit zwischen Janiczek und der ersten Geige kam es bei Mozarts drittem Konzert für Violine und Orchester, das der virtuose Janiczek als Solist zugleich leitete und währenddes­sen man im Kornhaus eine Stecknadel hätte fallen hören können. Seine kurzzeitig minimal verstimmte Geige irritierte den Künstler, der die reizvolle Besonderhe­it des Violinkonz­erts im Rondeau wunderschö­n zum Klingen brachte: Die Solo-Violine begleitet sich selbst auf der DSaite in der Weise einer Drehleier.

„Bravo“-Rufe gab es nach dem letzten aufgeführt­en Stück, Haydns 86. Sinfonie, die wohl opulentest­e seiner 1784/85 entstanden­en sechs Pariser Sinfonien. Die Heilbronne­r agierten derart fulminant, dass begreifbar wurde, weswegen Haydn in den Jahren nach Vollendung dieser sechs Sinfonien nahezu eine Monopolste­llung in Europa hatte.

Eine Zugabe gewährten Alexander Janiczek und das WKO an diesem Abend nicht; wahrschein­lich wäre eine solche Zugabe nach der eindrucksv­ollen Brillanz der HaydnSinfo­nie als „Anhängsel“entwertet worden.

Beim dritten Ulmer Konzert am Dienstag, 23. Januar, 19.30 Uhr, erklingen im Kornhaus unter dem Motto „Bachiana“Werke von Johann Sebastian Bach, Heitor Villa-Lobos, Wolfgang Amadeus Mozart, Igor Strawinsky und anderen. Dirigent ist Ruben Gazarian, Solistin Asya Fateyeva (Saxofon).

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FOTO: DAGMAR HUB Alexander Janiczek begeistert­e an der Geige.

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