Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Pussy Riot und der Gottesmann
Ein ultraorthodoxer Aktivist wollte die politische Performancekünstlerin Maria Aljochina einst ins Gefängnis bringen – Heute sind sie ein Paar
MOSKAU - Maria Aljochina ist eine politische Performancekünstlerin und erlangte als eine der sichtbaren Frontfrauen der Punkband Pussy Riot Berühmtheit. Dmitri Zorionow, bekannt unter dem orthodoxen Kampfnamen Enteo, ist ein ultraorthodoxer Aktivist. Umso überraschender, dass die zwei ein Paar sind.
Mit provokanten Aktionen erlangte der ultraorthodoxe Gotteskrieger Zorionow einen großen Bekanntheitsgrad. Er ist Anführer der orthodoxen Moskauer Aktivistengruppe „Gottes Wille“, sieht in religiösen Grenzverletzungen ein häufiges Übel. Auch religiöse Sponsoren scheuten die Nähe des Eiferers nicht.
Eigens Kampfbund gegründet
Vor zwei Jahren zerschlug Zorionow, Kind aus gutem Hause und Absolvent der Moskauer Diplomatenschmiede MGIMO, in der ManegeAusstellungshalle vor den Toren des Kreml Skulpturen eines christlichen Bildhauers. Grund: Sie fügten sich nicht in sein religiöses Verständnis. Zorionow gehört zu den Späterleuchteten, noch als Student versuchte er es mit Yoga-Rave und New Age. Beim Militär in Sibirien versuchte er für den orthodoxen Glauben zu missionieren.
Militant und aktiv wurde der Diplomatensohn indes erst 2012. Damals hatte Pussy Riot mit einem Überraschungsauftritt in der Christi-Erlöser-Kirche in Moskau mit eiem Punkgebet für Furore gesorgt. Die Frauen kreischten „Jungfrau Maria, werde eine Feministin“und „Verjage Putin“. Nach einer Auszeit als Ministerpräsident wollte sich Wladimir Putin damals wiederwählen lassen. Dem waren Massenproteste wegen Wahlbetrugs der Kremlpartei bei den Dumawahlen 2011 vorausgegangen. Im Schulterschluss mit der orthodoxen Kirche ging der Kreml gegen Pussy Riot und die Protestbewegung vor. 40 Sekunden hatte der Auftritt gedauert, bis die Wachen die maskierten Frauen aus der ErlöserKathedrale brachten. Später wurden sie zu einer zweijährigen Lagerstrafe wegen der Entfachung religiösen Hasses verurteilt. Enteo gründete damals den Kampfbund „Gottes Wille“, um der Forderung nach einer Haftstrafe für die Frauen Nachdruck zu verleihen. Ansonsten agitierte er gegen Homosexualität und Abtreibung. In der Bewegung „Pro Life“organisierte er öffentliche Gebete gegen „Propaganda für Homosexualität“und allerlei blasphemische Auswüchse.
Freundschaft aufgekündigt
Erst nach fast einem Jahr hat sich Maria Aljochina zu der Beziehung mit Enteo bekannt. Es ging ein Aufschrei durch die Protestszene. Viele kündigten ihr die Freundschaft auf. Kennengelernt hatte sie Zorionow vor einem Jahr auf einem Fest des liberaleren Radiosenders Echo Moskwy. Später willigte sie zu einem Gespräch ein, da sie wissen wollte, was das für ein Mensch sei, der eine Bewegung gründet, um sie ins Gefängnis zu bringen.
In einer ersten gemeinsamen Aktion lasen sie in diesem Frühjahr vor dem Justizministerium aus dem Matthäusevangelium – „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“. Aljochina schleppt Zorionow mit zu Demonstrationen des linken Spektrums. Inzwischen befasst sich dieser in einer neuen Organisation mit „Entkommunisierung“, der Befreiung vom kommunistischen Erbe.
Konflikte seien bis heute an der Tagesordnung, gestand sie dem russischen Medium „takie dela“. Richtig ärgerlich wurde Aljochina, als sie für die Freilassung des Starregisseurs Kirill Serebrennikow vom Moskauer Gogol-Zentrum demonstrierte. Zorionow hielt dagegen: Vor solchen Leuten wie dem schwulen Theatermann müsse die Kultur geschützt werden. In solchen Situationen wird Aljochina ungehalten. Die Metamorphose des Gottesmannes ist noch nicht abgeschlossen.
Die 29-Jährige machte auch als Gefangene durch Furchtlosigkeit und Widerstand auf sich aufmerksam. Zurzeit ist sie mit dem Theaterstück „Burning Doors“in Europa und den USA unterwegs. Vor Kurzem erschien das Buch „Riot Days“, eine Sammlung von Reflektionen aus der Zeit in der Frauenkolonie. „Es ist nicht nur meine Geschichte, es ist die Pussy Riots und Russlands. Ob Polizisten, Gefangene und Wärter, sie alle trafen ihre Wahl“, sagt sie. Jeder habe die Wahl.