Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Trennungskinder unterm Christbaum
Weihnachten bei Patchworkfamilien erfordert Anpassung von Eltern und Kindern
FÜRTH (epd) - Am zweiten Weihnachtsfeiertag ist die Ruhe bei den Schmidts (Namen geändert) schlagartig vorüber. Dann wird aus der kuschligen, dreiköpfigen Idylle eine sechsköpfige, turbulente Großfamilie.
„Die zwei Jungs meines Partners kommen von ihrer Mutter zurück und meine zwei trudeln von ihrem Vater wieder ein“, sagt Patchworkmama Cornelia, die mit ihrem jetzigen Partner zusätzlich einen leiblichen Sohn hat. „Gemeinsam feiern wir dann ein riesengroßes Weihnachtsfest.“Die junge Frau empfindet es als Luxus, beide Arten des Feierns erleben zu dürfen. „So bleibt einem auch Zeit für geruhsame Zweisamkeit“, sagt sie lächelnd und ist froh darüber, dass es diese klare Wechselregelung gibt. „Ein Jahr alle bei uns, ein Jahr beim Ex“– so machen es auch die Mayers. Alles andere sei Wahnsinn, sagt Patchworkmama Alexandra: „Am Anfang haben wir versucht, alle an Heiligabend unter einen Hut zu bekommen und die Kinder hin- und herzufahren. Das funktionierte gar nicht“, erinnert sie sich. Auch die Mayers haben ein gemeinsames, leibliches Kind sowie Kinder aus früheren Beziehungen.
Patchworkfamilien wie die Schmidts und Mayers sind keine Ausnahme. Das Deutsche Jugendinstitut in München geht davon aus, dass jede sechste Familie in Deutschland eine sogenannte Nachtrennungsfamilie ist. Der Familienreport 2017 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt an, dass es bei 21 Prozent aller 2015 geschlossenen Ehen voreheliche Kinder gab. Dieser Anteil habe sich seit 1991 mehr als verdoppelt. Im bayerischen Landkreis Fürth sei diese Zahl noch höher, schätzt Elisabeth Breer, Leiterin der Erziehungsberatungsstelle der Diakonie Fürth: „Der Landkreis hat eine der höchsten Scheidungsraten in Bayern. Dementsprechend viele Patchworkfamilien gibt es hier.“
Insbesondere frisch zusammengewürfelte Familien hätten an den kommenden Festtagen hart zu knabbern, ergänzt ihre Kollegin, Familienberaterin Gabriele Hülz: „Weihnachten ist so emotional aufgeladen. Es ist das Familienfest schlechthin. Bisherige Traditionen müssen aufgegeben werden. Das ist sehr schmerzhaft, mehr für die Eltern als für die Kinder.“Die Diakonie will mit einem speziellen Kurs für Patchworkeltern solchen Familien Halt geben. „Die Trennungsrate von Patchworkfamilien ist sehr hoch. Es kursiert eine Zahl von über 40 Prozent“, macht Breer deutlich. Bei den Mayers ist zum Beispiel die Trauer ein großes Thema in den kommenden Tagen. „Nach Weihnachten geht meine Tochter zu ihrem Papa. Dann sehe ich sie bis nach Silvester nicht. Ich bekomme nicht mit, was sie dann Schönes, Schwieriges oder Lustiges erlebt. Ich muss viel, viel früher lernen, meine Tochter loszulassen als andere Eltern. Das macht mich traurig“, sagt Alexandra. Ihr Mann Konstantin ergänzt: „Man verliert ganz viel wertvolle gemeinsame Zeit mit den Kindern. Deshalb trauern wir beide dann.“
„Dieses ‚meine Kinder‘, ‚deine Kinder‘ ist ganz problematisch. Diese Denke muss man irgendwie schaffen aufzugeben, aber von ‚unseren‘ kann man ja auch nicht sprechen“, sagt Cornelia Schmidt. „Eine Patchworkfamilie kann gelingen, wenn sich die Eltern bewusst machen, was gut läuft“, macht auch Familienberaterin Hülz deutlich. Diese Einstellung könne besonders dann helfen, wenn gerade an Weihnachten verdeckte Gefühle wie Trennungsschmerz, Eifersucht oder Wut wieder hochkochten.
„Traditionen müssen aufgegeben werden. Das ist sehr schmerzhaft“Familienberaterin Gabriele Hülz