Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Laichinger im Krieg
Das Gemetzel vor 100 Jahren machte an einem Tag Pause: an Heiligabend.
LAICHINGEN - Weihnachten 1917 – die vierte Kriegsweihnacht. Eigentlich wollten die deutschen Soldaten schon 1914 „Weihnachten wieder zu Hause“sein, siegreich natürlich. Und nun dauert das elende Massensterben an den Fronten schon dreieinhalb Jahre! Allein in Laichingen trauert man am Jahresende in den Familien um etwa 100 Söhne, Väter und Brüder, die bisher gefallen sind. Was sich wirklich an den Fronten abspielt, kann sich niemand vorstellen, und geht auch nicht aus den Feldpostbriefen hervor, die man von den kämpfenden Soldaten erhält. Schließlich sollen sich die Lieben in der Heimat keine unnötigen Sorgen machen.
Ein eigenartigeres Weihnachten als das an der Front kann es kaum geben. Schon im Jahr 1914 wird an vielen Frontabschnitten im Westen und im Osten der „Weihnachtsfrieden“ausgerufen, eine von der Befehlsebene nicht autorisierte Waffenruhe am Heiligen Abend. Man weiß, es wird in dieser Nacht nicht geschossen und besorgt für viele Unterstände ein Bäumlein, an dem ein paar Kerzen brennen. Ja, es gibt auch spontane Besuche in der Stellung des „Feindes“, die ja nicht weit entfernt ist. Oft verbrüdert man sich mit dem „Feind“, schimpft gemeinsam auf diesen „Sch...-Krieg“, wünscht sich frohe Weihnachten – um am nächsten Tag wieder aufeinander zu schießen.
Es gibt aber auch Erfreuliches zu berichten: Wladimir Iljitsch Lenin, der neue russische Regierungschef, hat Wort gehalten und den Krieg mit Deutschland beendet. Am 17. Dezember tritt der Waffenstillstand in Kraft. Die deutschen Soldaten bleiben zwar noch bis zum Abschluss eines Friedensvertrags im „Feindesland“stationiert, müssen aber nicht mehr um ihr Leben bangen. Sie ahnen noch nicht, dass die „Oberste Heeresleitung“bereits die „Frühjahrsoffensive“1918 im Westen plant und dabei auch die Soldaten der Ostfront einsetzen wird.
Auf der Laichinger Alb indessen ist bereits Anfang Dezember 1917 der Winter mit aller Macht eingebrochen. Die Schneemassen sind so groß und die Verwehungen so hoch, dass der Postverkehr mit der Kreisstadt Münsingen eingestellt werden muss. Noch schlimmer wird es im Januar 1918: Eine Woche lang fährt kein Zug mehr. Die „Schwäbische Albzeitung“berichtet über das Schneechaos: „Bei Oppingen durchfährt der Zug ein 500 Meter langes Schneetunnell, das durch Arbeiter, Russen und die freiwillig helfende Bevölkerung geschaffen wurde. Auch Schulkinder haben bei der Freilegung des Bahnkörpers mitgeholfen.“
Wegen der großen Kälte und des Mangels an Kohle muss Karl Paulus, der Leiter des Laichinger Gas- und Elektrizitätswerks, über die Weihnachtsfeiertage tagsüber den Strom abschalten, und auch abends darf nur das elektrische Licht eingeschaltet werden. Als Maschinist tut Johann Georg Frank im Gas- und Elektrizitätswerk Dienst. In der Nacht zum Zweiten Weihnachtsfeiertag erleidet er infolge eines Lecks in der Leitung eine Gasvergiftung. Am folgenden Tag wird er tot an seiner Arbeitsstelle aufgefunden.
Nicht viel zu beraten
Nach langer Zeit tagen die „bürgerlichen Kollegien“Laichingens, bestehend aus dem Gemeinderat und dem Bürgerausschuss, wieder einmal auf dem Rathaus. Viel zu beraten und zu entscheiden gibt es nicht: Man schafft eine neue Viehwaage an, verschiebt die schon lange fällige Gemeinderatswahl wieder einmal, weil sich die meisten der in Frage kommenden Kandidaten im Kriegsdienst befinden, und als Weihnachtsgeschenk der Gemeinde gibt es für alle noch lebenden „Ausmarschierten“fünf Mark.
Nach einem schwierigen Jahr mit dem schlimmen „Kohlrübenwinter“, in dem viel gehungert wurde und man den Menschen riet, doch Rabenfleisch zu verzehren, nach dem Eintritt der USA in den Krieg und der sich bereits abzeichnenden Niederlage Deutschlands, nach der Abnahme der Kirchenglocken für die Waffenproduktion und nachdem über zwanzig Laichinger Männer im Krieg gefallen sind, hält Vikar Beck in der übervollen St.-Albans-Kirche seine Silvesterpredigt über Psalm 126, Vers 3: „Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich.“