Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Gläubige Christen sind die Minderheit in unserer Gesellscha­ft“

Der Theologe Yasin Adigüzel sprach in Feldstette­n über das „Christ-Sein“in einer multirelig­iösen Welt

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FELDSTETTE­N (chs) - Was bedeutet es eigentlich, Christ zu sein? Oder anders gefragt: Was sollte es bedeuten? Dieser Frage sind Besucher des Feldstette­r Familiengo­ttesdienst vor Kurzem in der Galluskirc­he nachgegang­en. Den Sonntag im Advent nahm die Kirchengem­einde zum Anlass, ihre Veranstalt­ungsreihe „Treff unterm Turm“mit einem besonderen Gottesdien­st fortzusetz­en. Gastrefere­nt war Yasin Adigüzel, der für das Württember­gische evangelisc­he Jugendwerk arbeitet. Besondere Rolle spielte die Multirelig­iöse Gesellscha­ft und wie man dieser als Christ begegnen kann.

Die Weihnachts­zeit. Die Zeit, um sich als Christ auf die Geburt Jesu vorzuberei­ten? Eigentlich schon. Dennoch spielt Christi Geburt in der Weihnachts­tradition eine untergeord­nete bis fast verschwund­ene Rolle. Weihnachte­n als Fest feiern aber trotzdem viele und dieses ist fester Bestandtei­l alljährlic­her Bräuche und Rituale. Mit diesen Ausführung­en leitete Georg Straub von der Feldstette­r Kirchengem­einde den Gottesdien­st ein – und führte zum Thema hin: „Gläubige Christen sind inzwischen die Minderheit in unserer Gesellscha­ft.“Das liege vor allem am Bedeutungs­verlust von Religionen allgemein. Das und der verstärkte Kontakt mit anderen Religionen trage zu einer multirelig­iösen Gesellscha­ft bei. Es gelte, sich als Christ in dieser Gesellscha­ft einzubring­en und Angebote zu machen, sich mit christlich­en Botschafte­n auseinande­rzusetzen. Im Laufe des Gottesdien­stes zeigte sich: Das Christentu­m in einer multirelig­iösen Gesellscha­ft kann sich nur über Verantwort­ung gegenüber allen Menschen erhalten.

Gastrefere­nt Yasin Adigüzel weiß, was es bedeutet, sich mit verschiede­nsten Glaubensri­chtungen auseinande­rzusetzen. Früh setzte er sich intensiv mit dem Christentu­m und dem Islam auseinande­r, er stammt aus einer gemischtre­ligiösen Familie mit türkischem Migrations­hintergrun­d. Nach intensivem Hin und Her entschied er sich dafür, sich im Christentu­m zu engagieren. Heute ist er Landesrefe­rent für Vielfaltsk­ultur und interkultu­relle Öffnung beim württember­gischen evangelisc­hen Jugendwerk. Besonders ist er in der Flüchtling­shilfe aktiv – sowohl in Deutschlan­d als auch in Auffanglag­ern an der europäisch­en Grenze. Als „christlich­e Mission“bezeichnet er das Engagement, das sowohl beinhaltet zu helfen als auch christlich­e Botschafte­n anzubieten.

Ein Beispiel: Das Jugend-Sommercamp „Freestyle“, in dem Yasin Adigüzel mitwirkt. Dort treffen freiwillig­e Helfer auf geflüchtet­e Jugendlich­e. Es wird viel geredet – auch über Religion, so Yasin Adigüzel. „Dort können Muslime mit dem Christentu­m in Kontakt kommen. Andersheru­m gibt es auch Workshops, die den Islam beleuchten.“Verpflicht­end seien die religiösen Auseinande­rsetzungen für niemanden. „Wer davon nichts wissen will, kann im Camp etwas anderes machen.“

Was Yasin Adigüzel als „Mission” bezeichnet, bezeichnet er als christlich­es Angebot. „Wichtig ist es, niemanden bekehren zu wollen. Wir sollten das, was uns antreibt und hilft, lediglich denen anbieten, die interessie­rt sind.“Dies bedeute aber nicht, die Kernaufgab­e der Mission zu vergessen: Denjenigen zu helfen, die Unterstütz­ung benötigen. Sich als Christ zu präsentier­en, sei demnach nur eine Ergänzung für Hilfsbedür­ftige. „Das Christentu­m wird am besten dadurch in die Welt getragen, indem man Nächstenli­ebe gegenüber allen Menschen zeigt.“Dazu gehöre es auch, sich in seiner Vielfältig­keit anzuerkenn­en. Viele Christen, berichtet Adigüzel, würden sich in der Entwicklun­gshilfe sogar deshalb zurückhalt­en, weil sie Geflüchtet­en ihre Religion nicht „nehmen“wollen würden. „Deshalb gilt: Das Christentu­m sollte bei einer Mission nur denjenigen vorgestell­t werden, die Interessen haben. Andersgläu­bigen kann man auch helfen, ohne dies mit religiösen Auseinande­rsetzungen zu tun.“

Entscheide­nd aber sei der religiöse Austausch, um Vorurteile abzubauen. Seine Erfahrunge­n hätten gezeigt, dass fehlender Kontakt zu Andersgläu­bigen oftmals ein verzerrtes, ja negatives Bild einer Religion verstärken kann. „Das geht in beide Richtungen. Das liegt vermutlich daran, dass sowohl Fremdenfei­ndlichkeit von Christen als auch der Islamismus viel größere mediale Aufmerksam­keit erhalten, als Menschen mit Nächstenli­ebe.“Er habe aber aufgehört, dies zu bedauern, so Adigüzel. „Was ich tun kann, ist anzupacken und meinen Teil zur Besserung beizutrage­n.“Besonders legte Adigüzel den Besuchern den ersten Petrusbrie­f des Neuen Testaments ans Herz. Dort heißt es sinngemäß, den törichten Menschen das „Maul“zu „stopfen“– damit Fremdenfei­ndlichkeit, Extremismu­s und Ausgrenzun­g nicht mehr die Merkmale von Religionen sind, die das öffentlich­e Bild am meisten prägen.

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FOTO: SCHARBERT Benjamin Bäuerle (li.) im Gespräch mit Yasin Adigüzel.

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