Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Himmlische Momente“
Weihnachtspredigt von Weihbischof Matthäus Karrer, Diözese Rottenburg-Stuttgart
Die biblischen Texte von Weihnachten beschreiben uns wunderbare Bilder und Ereignisse. Der Prophet Jesaja spricht davon, dass ein helles Licht aus der Dunkelheit erstrahlt und darüber große Freude und Jubel ausbrechen. Und dieses Licht ist ein Kind, dem wunderbare Fähigkeiten zugesprochen werden, wie Ratgeber, starker Gott, Friedensfürst. Jesaja kündet einen wahrlich himmlischen Moment an.
Ähnliches erfahren wir im Lukasevangelium. Der Engel trat zu den Hirten und sein Glanz umstrahlte sie. Und er verkündet mit großer Freude, dass der Messias, der Herr geboren ist. Auch Lukas beschreibt einen wahrlich himmlischen Moment.
Und wir alle lassen uns von diesen himmlischen Botschaften jedes Jahr aufs Neue begeistern. Weihnachten ist für viele Menschen ein Fest der Freude, ein Fest des Lichtes, ein Fest der Emotionen – ein Fest voller himmlischer Momente.
Mehr als Emotionen
Doch die Realität holt uns oft allzu schnell wieder ein. Damals, wie heute. Das Volk Israel erlebt beim Propheten Jesaja gerade die Hölle auf Erden. In einem durch Kriege verwüsteten Land und verängstigt durch die Taten verschiedenster Gewaltherrscher haben die Menschen keine Hoffnung. Und das Leben der Hirten dürfen wir uns nicht als eine nette Idylle vorstellen. Die Hirten lebten damals am untersten Rand der Gesellschaft. Hunger und Not, Krankheiten und Tod gehörten zu ihren täglichen Begleitern. Vielen galten sie als Unheilsboten und wurden deshalb oft aus den Dörfern und Städten vertrieben.
Geht es uns nicht ähnlich? Feiern wir Weihnachten nicht auch in Zeiten, in denen die Terrorangst bei uns umgeht, in denen Kriege geführt werden, Menschen auf der Flucht sind und viel an seelischer und materieller Not zu entdecken ist?
Genauso wie dem Volk Israel und den Hirten auf dem Feld wird uns in unsere Lebensrealität hinein an Weihnachten ein wunderbarer himmlischer Moment geschenkt – ein Moment der Hoffnung: Jesaja macht den Verzagten Mut; der Engel verkündet den Ärmsten den Messias, den Retter. Auch wir dürfen glauben und darauf vertrauen, dass die Weihnachtsbotschaft des Friedens, der Liebe und des Gottvertrauens Realität wird.
Doch wie geschieht das? Wie können wir etwas greifen, das mehr ist als Emotionen und kurze freudige Momente?
Ein Gedicht aus Brasilien beschreibt dies auf eine ganz eindrückliche Weise:
„Jedes Mal, wenn zwei Menschen einander verzeihen, ist Weihnachten.
Jedes Mal, wenn ihr Verständnis zeigt für eure Kinder, ist Weihnachten.
Jedes Mal, wenn ihr einem Menschen helft, ist Weihnachten.
Jedes Mal, wenn jemand beschließt ehrlich zu leben, ist Weihnachten.
Jedes Mal, wenn ein Kind geboren wird, ist Weihnachten.
Jedes Mal, wenn du versuchst, deinem Leben einen neuen Sinn zu geben, ist Weihnachten.
Jedes Mal, wenn ihr einander anseht mit den Augen des Herzens, mit einem Lächeln auf den Lippen, ist Weihnachten.
Denn es ist geboren die Liebe. Denn es ist geboren der Friede. Denn es ist geboren die Gerechtigkeit. Denn es ist geboren die Hoffnung.
Ein wunderbares Gedicht, das deutlich macht, dass die weihnachtliche Botschaft eine Aufforderung zum Handeln nach den Maßstäben Gottes beinhaltet. Freude, Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung fallen uns nicht in den Schoß, sondern müssen manchmal hart erarbeitet werden. Das galt für das Volk Israel zur Zeit des Propheten Jesaja, das galt für die Hirten bei der Geburt Jesu, das gilt für uns heute am Weihnachtsfest 2017.
Ein liebender Umgang
Ich wünsche uns allen, dass alles, was das Gedicht aus Brasilien so trefflich beschreibt, uns immer wieder gelingen möge: Versöhnung untereinander, Sorge füreinander, gerechtes Wirtschaften, Hoffnung auf die Zukunft und auch die Bereitschaft zu Umkehr und Veränderung – ganz einfach ein liebender Umgang im privaten und gesellschaftlichen Leben. Dann bekommt die Weihnachtshoffnung Hand und Fuß, erleben auch wir in dunklen Zeiten einen wahrhaft himmlischen Moment.