Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das Bitcoin-Dilemma

Zocken statt zahlen – Kryptowähr­ung entwickelt sich zum Spekulatio­nsobjekt

- Von Hannes Breustedt, Tobias Schmidt

BERLIN/NEW YORK (dpa) - „Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann der letzte Kunde mit Bitcoin bezahlt hat“, sagt Niels Göttsch. Der Besitzer der Kaffeebar Leuchtstof­f in Berlin Neukölln ist bei Weitem nicht der einzige Ladenbetre­iber, dem es so geht. Zwar etabliert sich Bitcoin in der Finanzwelt und verzeichne­te in diesem Jahr – trotz eines kräftigen Absturzes am Freitag – extreme Kursanstie­ge und Rekordstän­de. Doch dieser Erfolg führt zu einem Dilemma.

Denn was eigentlich als digitale Währung gedacht war, droht zum reinen Spekulatio­nsobjekt zu werden. Zum Bezahlen eignet sich Bitcoin dadurch nur noch bedingt. Für Ladenbesit­zer und Online-Händler sind extreme Kursaussch­läge unangenehm – die Preise müssen ständig angepasst werden. Und wer will schon Geld ausgeben, das keinen stabilen Wert hat und eher zur Spekulatio­n auf Kursgewinn­e einlädt?

In Berlin, wo seit Jahren immer mehr hippe Cafés und Start-ups Bitcoin-Zahlungen anbieten, macht sich das Problem bereits bemerkbar. Anfangs habe es wenigstens noch um die zehn Bitcoin-Zahlungen pro Jahr gegeben, sagt Kaffeebar-Besitzer Göttsch. Inzwischen seien die Transaktio­nen aber ganz versiegt. „Die Mitarbeite­r vergessen schon, wie das mit der Bitcoin-Annahme überhaupt funktionie­rt.“

Auch die Berliner Konditorei Engelmann bekommt in letzter Zeit gar keine Bitcoin-Anfragen mehr. Es habe immer wieder Probleme gegeben, sagt Besitzer Michael Engelmann. So hätten etwa Kunden aus Versehen das Geld doppelt überwiesen, weil sie nicht sicher waren, ob die Transaktio­nen tatsächlic­h stattgefun­den haben. Dabei schien Bitcoin eine Zeit lang als Zahlungsmi­ttel auf dem Vormarsch.

In den USA führten Großkonzer­ne wie Dell, Expedia oder Microsoft die Kryptodevi­se bereits 2014 als Zahlungsop­tion ein. Auch Ebay flirtete damals damit. Wie sieht es heute aus? Computer-Riese Dell hat Bitcoin-Zahlungen wegen „geringer Nachfrage“wieder abgeschaff­t. Auch bei Microsoft wird das Digitalgel­d nicht mehr angenommen. Bei Ebay hüllt man sich über Bitcoin-Pläne in Schweigen, Ex-Tochter Paypal gibt ebenfalls keine Auskunft zu Krypto-Experiment­en.

Nachfrage gering, Wachstum groß

Das Online-Reisebüro Expedia akzeptiert Bitcoin zwar nach wie vor – aber noch immer nur bei Hotelbuchu­ngen auf der US-Webseite. Zum Start vor über drei Jahren hatte es geheißen, das Angebot werde erweitert, wenn es bei Kunden gut ankomme. Immerhin: Laut einer Sprecherin hat sich das Transaktio­nsvolumen in den letzten zehn Monaten verdoppelt. Konkrete Zahlen wollte sie jedoch nicht nennen.

Anfang Dezember sah sich sogar der Online-Computersp­ielehändle­r Steam trotz seiner cyber-begeistert­en Kundschaft gezwungen, die Bitcoin-Annahme einzustell­en. Die Gebühren seien rasant gestiegen – von anfangs 20 Cent pro Transaktio­n auf zuletzt fast 20 Dollar. Hinzu kommen die enormen Wertschwan­kungen. „Falls die Transaktio­n nicht zeitgerech­t abgeschlos­sen wurde, kann sich der benötigte Betrag für die Bezahlung ändern“, heißt es bei dem Online-Händler.

Der führende Bitcoin-Zahlungsab­wickler Bitpay zieht dennoch ein positives Fazit für 2017. „Wer nicht unter einem Stein lebt, wird gesehen haben, dass das tägliche Transaktio­nsniveau in diesem Jahr neue Höchststän­de erreicht hat“, heißt es von dem Unternehme­n aus Atlanta. Man habe erstmals Zahlungen von mehr als einer Milliarde Dollar ausgeführt, das Wachstum betrage 330 Prozent auf Jahressich­t.

Das klingt stark, verblasst aber in Relation zum Bitcoin-Kursanstie­g, der im gleichen Zeitraum in der Spitze bei über 2000 Prozent lag. Auch gemessen am E-Commerce-Markt insgesamt ist das Volumen eher bescheiden. Zum Vergleich: Alleine bei der Rabattschl­acht „Cyber Monday“wurden mehr als sechs Milliarden Dollar im Internet ausgegeben – an einem einzigen Tag und nur in den USA.

Der Bitcoin-Gemeinde ist durchaus bewusst, dass die Vereinnahm­ung durch Spekulante­n ihrem Ziel einer freien Währung schaden kann, die Dollar oder Euro Konkurrenz machen könnte. Nicht zuletzt, um Transaktio­nen zu erleichter­n und der Zockerei etwas entgegenzu­setzen, wurde im August nach langen Querelen in der Community der Bitcoin Cash vom Bitcoin abgespalte­n. Seitdem ist der Kurs aber auch hier explodiert. Und der Versuch der Handelspla­ttform Coinbase, Bitcoin Cash aufzunehme­n, hat nur zu weiteren Turbulenze­n geführt. Der weltweite Hype um Kryptogeld scheint einfach zu groß, um Spekulante­n fernzuhalt­en.

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FOTO: DPA Bitcoins: Wegen Spekulatio­nen wird die digitale Währung kaum noch als Zahlungsmi­ttel verwendet.

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