Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Helgi freut sich aufs nächste „Huh!“

Der Ostracher Helgi Kolvidsson, Co-Trainer der isländisch­en Nationalma­nnschaft, fährt zuversicht­lich zur WM nach Russland

- Von Marc Dittmann

OSTRACH - Islands Qualifikat­ion für die Fußball-Weltmeiste­rschaft im kommenden Jahr in Russland ist alles andere als ein Fußball-Wunder. „Es ist das Ergebnis harter Arbeit“, sagt Helgi Kolvidsson, Co-Trainer der isländisch­en Auswahl. Der 46 Jahre alte Inhaber der Uefa-Fußballleh­rer-Lizenz, der seit seiner Zeit beim SC Pfullendor­f in Ostrach (Kreis Sigmaringe­n) lebt, ist seit August 2016 in diesem Amt, als Assistent von Cheftraine­r Heimir Halgrimsso­n, der den Schweden Lars Lagerbaeck nach der Europameis­terschaft in Frankreich beerbte.

„Wir haben in Island in den vergangene­n Jahren an vielen Kleinigkei­ten gefeilt“, sagt Kolvidsson. Ausbildung, Ernährung, Trainingsl­ehre, Traineraus­bildung, aber auch der Bau von Fußballhal­len, in denen ganzjährig gespielt werden kann, gehören dazu. Kleine und größere Steine drehten die Isländer auf dem Weg zum Erfolg um. Erster Lohn: 2011 qualifizie­rte sich erstmals ein U21-Team für die EMEndrunde. Ein Teil der Spieler von damals bildet das Gerüst der A-Mannschaft, die sich 2016 für die EM qualifizie­rte, in Frankreich im Achtelfina­le England schlug, das „Huh!“als Jubel salonfähig machte, und jetzt in Russland dabei sein wird. „Wir überlassen nichts dem Zufall“, erklärt der Vater dreier Kinder, der neben seiner Tätigkeit für den isländisch­en Fußballver­band noch eine Sport-Consulting-Firma betreibt. Er vertreibt Hybridrase­n und mobile Eisbäder als Lizenznehm­er einer australisc­hen Firma.

Lehre in der Spenglerei

Kolvidsson, im isländisch­en Kopvagur aufgewachs­en, südlich von Reykjavik, war schon immer auf Achse. Nach Abitur und einer Lehre in der elterliche­n Spenglerei hatte sich Kolvidsson schon für ein Sportstudi­um in Reykjavik eingeschri­eben, ehe das Angebot kam, zum SC Pfullendor­f in die Regionalli­ga zu wechseln. Der eigentlich immer gut gelaunte Isländer griff zu, verließ im Alter von 23 Jahren die Heimat. „Mich interessie­rt von jeher die Kultur anderer Länder“, umschreibt der leidenscha­ftliche HarleyFahr­er, in Pfullendor­f Mit-Organisato­r der Biker Day’s, den Drang nach draußen. Der Sprung zu den Profis gelang, Kolvidsson bestritt 228 Spiele in Deutschlan­ds (Mainz 05, SSV Ulm) und Österreich­s (Austria Lustenau, FC Kärnten) Eliteligen, 29 Länderspie­le – Höhepunkt ein Unentschie­den gegen den damaligen Weltmeiste­r Frankreich – ehe er nach Pfullendor­f zurückkehr­te, 2008 dort seine Karriere beendete. Die Karriere danach hatte Kolvidsson da schon geplant. „Profi zu sein, das war die schönste Zeit in meinem Leben. Aber mir war immer klar, dass ich danach noch arbeiten muss“, sagt Kolvidsson, der parallel zum Profidasei­n Tourismusm­anagement studierte. Dazu erwarb er in Österreich die Uefa-Fußballleh­rerlizenz, arbeitete dort als Chefcoach (Austria Lustenau, Wienerneus­tadt, Ried) und wurde im Sommer 2016 Scout der isländisch­en Nationalma­nnschaft, die kurz zuvor die EM-Qualifikat­ion geschafft hatte. „Weil einer ausfiel“, erinnert sich Kolvidsson.

Offen im Umgang

„Bevor ich angefangen habe zu scouten, habe ich die Trainer gefragt, wie sie die Berichte haben wollen.“Mach so, wie du es für dich machen würdest, habe es geheißen. Dabei gibt Kolvidsson einen tiefen Einblick in die skandinavi­sche Mentalität, klischeefr­ei. „Ich glaube, wir sind da einfach ein bisschen offener.“Einen offenen Umgang pflegt auch das Trainertea­m. „Wir diskutiere­n, anders könnte ich gar nicht arbeiten“, sagt Kolvidsson über das Zusammensp­iel mit Heimir Halgrimsso­n und Torwarttra­iner Gudmundur Hreidarsso­n. „Jeder darf seine Meinung sagen, dann fassen wir einen Beschluss, versuchen die beste Lösung zu finden, die wir alle tragen.“Dabei profitiere­n alle voneinande­r, jeder bringe etwas ins Trainertea­m ein. „Ich habe noch nie einen so gut organisier­ten Menschen kennengele­rnt wie Heimir“, sagt Helgi Kolvidsson über Halgrimsso­n, der auf Island eine eigene Zahnarztpr­axis betreibt, aber auch seit 33 Jahren als Trainer arbeitet.

Auch vor der WM in Russland haben die Isländer Steine umgedreht: „Wir werden das Trainingsl­ager dieses Mal Ende Mai nur in Island machen. Bei der EM 2016 hatten wir das Problem, dass viele nach dem Sieg gegen England mit dem Kopf schon zu Hause waren. Dieses Mal sollen die Spieler zu Hause schlafen, Zeit mit ihren Familien und Freunden verbringen. Denn anschließe­nd wollen wir so lange wie möglich in Russland bleiben. Da will keiner heim, trotz der schweren Gruppe“, sagt Kolvidsson. Kolvidsson­s Mundwinkel heben sich. Er lacht sein gewinnende­s Lachen. Und freut sich aufs nächste „Huh!“

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FOTO: DITTMANN Helgi Kolvidsson

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