Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Im Schweinest­all wird getwittert

In der landwirtsc­haftlichen Blogger-Szene herrscht reger Betrieb – davon leben kann aber noch kein Bauer

- Von Larissa Schwedes

MÜNSTER (dpa) - Die Ferkel knabbern an seinen Schnürsenk­eln, doch Marcus Holtkötter hat nur Augen für sein Tablet. Via Twitter liefert sich der Schweineba­uer aus dem Münsterlan­d eine hitzige Diskussion über den Unkrautver­nichter Glyphosat. Über 1400 Menschen verfolgen seine Aktivitäte­n in dem Kurznachri­chtendiens­t, kürzlich haben sie seinen zehntausen­dsten Tweet zu lesen bekommen.

Landwirte aus ganz Deutschlan­d nutzen soziale Medien und Blogs, um sich auszutausc­hen und Einblick in ihre Arbeit zu geben. Auch klassische Blogs sind in der Branche beliebt: Einen der beliebtest­en betreibt „Bauer Willi“aus dem Rheinland, der auf seiner Webseite zu umstritten­en Themen wie der Milchkrise oder auch Massentier­haltung Position bezieht.

„Wir brauchen einen ehrlichen Dialog“, sagt Schweineba­uer Holtkötter. Der Austausch mit Verbrauche­rn und Politikern sei eingeschla­fen, dadurch entstehe oft Unverständ­nis und Misstrauen. „Dass ich die Fütterung der Schweine mit dem iPhone steuere, passt für viele nicht in ihr romantisie­rtes Bild der Bauernhofi­dylle. Wenn ich es den Menschen allerdings einmal erkläre, verstehen sie die Vorteile.“

Nicht jeder Blogger hat ein so großes Publikum wie Bauer Holti. Doch Kirstin Karotki vom Deutschen Bauernverb­and ist sicher: „Die Reichweite ist viel größer als die Agrarszene selbst.“Viele verfolgten auf Facebook die Neuigkeite­n vom Bauern aus der Nachbarsch­aft. Darüber hinaus riefen die Aktivitäte­n Tierschütz­er und andere Kritiker auf den Plan, die sich ebenfalls aktiv in die Diskussion einmischte­n. Während Facebook vor allem dazu genutzt werde, um der Öffentlich­keit Einblicke in die eigene Arbeit zu vermitteln, gehe es auf Twitter stärker branchenin­tern zur Sache, erklärt Karotki. Auch die Politik werde adressiert.

Thomas Fabry dürfte mit seinen 22 Jahren wohl einer der jüngsten digitalen Vertreter der Branche sein. „Warum gibt es eigentlich kein Parfüm, das nach frisch gemähtem Gras riecht?“, heißt es auf einem Foto im Instagram-Profil des Nachwuchsl­andwirtes. Auf Snapchat lässt er sich von seinem Publikum beim Holzhacken oder Traktorrep­arieren begleiten.

Fabry will gegen Verallgeme­inerungen und Klischees ankämpfen: „Es gibt 1000 verschiede­ne Arten, Landwirtsc­haft zu betreiben – und nicht nur den einen Landwirt.“Weil Instagram und Snapchat bei seinen Altersgeno­ssen populär seien, hofft Fabry, sie damit für Landwirtsc­haft begeistern zu können. „Ich bin ein Riesenfan von Snapchat. Die Community ist sehr familiär, der Dialog sehr offen und ehrlich“– anders als bei Facebook, wo Blogger oft mit Beleidigun­gen und Hetze zu kämpfen hätten.

Herausford­erungen wie diese haben die deutschen Agrar-Blogger vor einigen Monaten erstmalig auch offline zusammenge­führt: In Münster trafen sich im vergangene­n Jahr rund 100 Landwirte zu ihrem ersten „AgrarBlogg­er-Camp“. Workshops zu digitalem Storytelli­ng und Kommunikat­ion in der Krise standen genauso auf dem Programm wie der Wunsch, sich auch im echten Leben kennenzule­rnen und auch auszutausc­hen.

„Ich bin ein Riesenfan von Snapchat. Die Community ist sehr familiär.“

Thomas Fabry, Bauer

Großer Zeitaufwan­d

Erfolgreic­he Blogger in der Modeoder Reisebranc­he können von ihrem Blogger-Dasein leben, weil Unternehme­n sie als Werbeträge­r nutzen und dafür bezahlen. Daran ist in der Landwirtsc­haft nicht zu denken. Auch der Zeitaufwan­d sei groß. „Phasenweis­e ist das ein Vollzeitjo­b“, sagt Holtkötter – der neben der Bloggerei auch das Tagesgesch­äft auf seinem Hof verrichten muss.

Trotzdem will Bauer Holti weitermach­en und seine Arbeit erklären. „Warum sind die Kälber ganz allein im Stall? Wie kommen die Rillen in den Ackerboden? Es kommen Fragen auf, die für mich ganz selbstvers­tändlich erscheinen“, sagt er über den Dialog. Und hält fest: „Darüber zu schreiben und zu reden, das macht mir ganz einfach Spaß.“

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FOTO: DPA Bauern bloggen gern: über Temperatur­en, Kälberaufz­ucht und Bedingunge­n im Schweinest­all.

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