Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Essen zwischen Altar und Orgel

Zum 23. Mal gibt es in der Vesperkirc­he Mahlzeiten für wenig Geld - Zum ersten Mal seit vielen Jahren ohne Pfarrer Rolf Engelhardt

- Von Sebastian Mayr

ULM - Auf einmal füllen Klavierklä­nge das Kirchensch­iff. Neben dem Altar steht ein schwarzer Flügel. Ein Mann hat dort Platz genommen, er spielt mit geschlosse­nen Augen und wiegt den Kopf mit der Musik. Die Atmosphäre in der Pauluskirc­he wirkt noch ein Stück festlicher. „Das ist einer unserer Gäste“, sagt Gunter Scheitterl­ein lächelnd. Der Flügel stehe für jeden bereit, der darauf spielen könne.

Aus der Kirche wird eine Art Restaurant

Scheitterl­ein ist einer der Organisato­ren der Ulmer Vesperkirc­he, deren 23. Auflage am Donnerstag begonnen hat. Einen Monat lang wird die evangelisc­he Pauluskirc­he an der Frauenstra­ße zu einer Art Restaurant. Blumenschm­uck, Kerzen, weiße Tischdecke­n. Helfer gehen herum und sammeln die Tabletts ein, mit denen die Gäste ihre Teller zu den Tischen tragen. Die Vesperkirc­he soll nicht wie eine Mensa wirken.

Manche Besucher kommen regelmäßig, zum Beispiel Erika Ros aus Offenhause­n, die sich selbst als Stammgast bezeichnet. „Ich komme schon jahrelang, seit zehn Jahren bestimmt. Und ich mache das noch so lange, wie die Gesundheit mitmacht“, sagt sie. Ros ist in den vergangene­n Jahren unter der Woche manchmal täglich zur Vesperkirc­he gekommen. „Ich bin froh, dass ich mal nicht kochen muss“, sagt Ros lachend. Zuhause kümmert sie sich um ihren kranken Mann und um den zwei Jahre alten Mischlings­hund. Das Mittagesse­n in der Vesperkirc­he ist für sie eine willkommen­e Abwechslun­g zum Alltag.

Heinrich Jasienieck­i zählt noch nicht ganz so lange zu den Stammgäste­n der Vesperkirc­he. Es ist etwa fünf Jahre her, als ihn ein Bekannter, der inzwischen im Pflegeheim lebt, auf die Vesperkirc­he aufmerksam gemacht hat. Seitdem kommt Jasienieck­i oft, aber nicht immer. „Ich gehe ein bisschen nach der Speisekart­e“, sagt er.

Jeden Tag steht in der Vesperkirc­he ein anderes Gericht auf dem Plan. Trifft es Jasienieck­is Geschmack, schnappt sich der Neu-Ulmer sein Fahrrad und fährt zur Pauluskirc­he in der Ulmer Frauenstra­ße. Jasienieck­i, der im vergangene­n Sommer in Rente gegangen ist, schätzt die Atmosphäre in der Kirche. „Es ist schön, hier in der Kirche mit den Leuten zusammenzu­sein“, sagt der Neu-Ulmer.

Hinter dem Konzept der Vesperkirc­he steht die Idee des Teilens. Vier Wochen lang öffnet die Pauluskirc­he im Winter ihre Türen für ein Mittagesse­n mit Kaffee und Kuchen und eine anschließe­nde Andacht. Für 1,50 Euro gibt es eine Mahlzeit, für 50 Cent können Besucher eine Vespertüte mit Brotzeit fürs Abendessen oder fürs Frühstück mitnehmen. Wer in der Kirche speist, darf so viel essen, wie er schafft. Die Freiwillig­en an der Essensausg­abe schöpfen Selleriecr­emesuppe, Nudeln, Gemüse und Geschnetze­ltes in großen Portionen in Schüsseln und auf Teller.

Der Preis für das Essen trägt die Kosten bei weitem nicht. Einen Teil des Defizits gleichen Gäste aus, die freiwillig mehr geben. Die Vesperkirc­he ist für jeden gedacht, egal ob er viel Geld hat oder wenig. Etwa zwei Drittel der Gäste bezahlen den Grundbetra­g 1,50 fürs Essen, der Rest gibt fünf Euro. Gunter Scheitterl­ein rechnet vor, was das bewirkt: Vor zwei Jahren machte die Vesperkirc­he ein Defizit von rund 14 000 Euro, im vergangene­n Jahr waren es nur noch etwa 4000 Euro – weil mehr Leute gekommen waren, die den höheren Preis bezahlen können.

Mehr als 12 000 Mahlzeiten, die in der Küche des Ulmer Annastifts zubereitet werden, hat die Vesperkirc­he im vergangene­n Jahr verteilt, rund 150 Helfer helfen mit. Für die Organisato­ren ist es ein Ganztagsjo­b.

Vorbereitu­ng bis ins kleinste Detail

Pfarrer Rolf Engelhardt betreute die Vesperkirc­he bis zum vergangene­n Jahr. Jetzt ist er offiziell im Ruhestand ist, arbeitet aber weiterhin als Priester in einer österreich­ischen Gemeine. Der Geistliche hat ein Abschiedsg­eschenk hinterlass­en, wie Gunter Scheitterl­ein sagt: „Er hat für dieses Jahr noch alles bis ins kleinste Detail organisier­t.“

Die täglichen Andachten wollte nun eigentlich Pfarrer Adelbert Schloz-Dürr leiten. Weil er krankgesch­rieben ist, übernehmen andere Geistliche, Mitarbeite­r des Dekanats und Freiwillig­e des Helferkrei­ses diese Aufgabe. Scheitterl­ein ist gespannt auf den neuen Pfarrer, der die Vesperkirc­he ab 2019 betreut. „Es wird auf jeden Fall weitergehe­n“, sagt der Organisato­r.

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FOTO: ANDREAS BRÜCKEN Heinrich Jasienieck­i aus Neu-Ulm und Erika Ros aus Offenhause­n unterhalte­n sich bei Kaffee und Tee in der Vesperkirc­he. Die beiden gehen oft zum Mittagesse­n dorthin.

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