Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Damit der „Rosa Winkel“nicht vergessen wird

Die Verfolgung Homosexuel­ler in der NS-Zeit ist ein weißer Fleck der Geschichte – Das DZOK will das ändern

- Von Dagmar Hub

ULM - Die Erinnerung an die Opfer des Nationalso­zialismus dürfte nie enden, hatte der damalige Bundespräs­ident Roman Herzog im Jahr 1996 erklärt. Am 27. Januar, wenn sich die Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz zum 73. Mal jährt, wird bei der Gedenkfeie­r im Stadthaus in diesem Jahr eine Opfergrupp­e im Mittelpunk­t einer Lesung und einer Podiumsdis­kussion stehen, der bislang wenig Aufmerksam­keit geschenkt wurde: Schwule, aber auch Lesben und Bisexuelle wurden im NS-Regime drangsalie­rt, mit dem „Rosa Winkel“stigmatisi­ert und – oft nach Verbüßung von Haftstrafe­n – in Konzentrat­ionslager verschlepp­t.

Die Verfolgung der Homosexuel­len insgesamt und auch in Ulm ist im Gegensatz zu anderen Opfergrupp­en eher ein weißer Fleck der Geschichte. Das liegt zum einen an einer Tabuisieru­ng des Themas, zum anderen am berüchtigt­en Paragrafen 175 des Strafgeset­zbuches. Homosexual­ität wurde in der Bundesrepu­blik und der DDR noch lange Zeit strafrecht­lich verfolgt.

Im Stadthaus werden am 27. Januar die Schauspiel­er Sibylle Schleicher, Karl Heinz Glaser und Christian Streit aus Vernehmung­sprotokoll­en und anderen Dokumenten zur Verfolgung von drei homosexuel­len Männern in Ulm lesen.

DZOK-Archivar Josef Naßl und Ulrich Seemüller, stellvertr­etender Leiter des Ulmer Stadtarchi­vs, haben Biografien und die detailgena­ue Beobachtun­g von Homosexuel­len im Hauptbahnh­of, in Cafés und Hotels durch den NS-Apparat nachgezeic­hnet. DZOK-Leiterin Nicola Wenge vermutet, dass es in Ulm gerade aufgrund der starken Garnison besonders viele homosexuel­le Verfolgte des NS-Regimes gab. Einer von ihnen ist der denunziert­e Soldat Friedrich Gruhler, ein anderer Curt Mehrhardt, gegen den als Beweismitt­el unter anderem Liebesbrie­fe seines italienisc­hen Partners Fermo Grignaffin­i verwendet wurden. Ein weiteres Opfer ist der Ulmer Friedrich Haug. Er starb am 14. August 1943 im Alter von 28 Jahren im KZ Sachsenhau­sen. Haug war nach Verbüßung seiner Haftstrafe wegen „widernatür­licher Unzucht“nicht entlassen worden, sondern der Polizei übergeben und ins KZ gebracht worden. Der Arbeitskre­is 27. Januar möchte mit diesem Schwerpunk­t zur Diskussion über das Thema der im NS-Regime verfolgten Homosexuel­len anregen.

Bereits um 14.30 Uhr beginnt in der KZ-Gedenkstät­te am Oberen Kuhberg die Gedenkfeie­r, in deren Mittelpunk­t das Schicksal des Söflingers Albrecht Vogt steht. Der Sohn eines bürgerlich­en Brauereibe­sitzerEhep­aars war im Ersten Weltkrieg Soldat gewesen, studierte dann Sprachwiss­enschaften und arbeitete in Ulm als Lehrer für Fremdsprac­hen, von denen er zwölf beherrscht­e. 1934/35 wurde Vogt Mitglied einer kommunisti­schen Widerstand­sgruppe und verfasste NS-kritische Flugblätte­r, in denen unter anderem Polizeiprä­sident Dreher lächerlich gemacht wurde. Vogt wurde 1935 verhaftet und 1937 in Stuttgart wegen Hochverrat­s zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Auch er wurde nach Verbüßung der Strafe nicht freigelass­en, sondern im Februar 1943 – schwer an Tuberkulos­e erkrankt – in das Konzentrat­ionslager Flossenbür­g eingeliefe­rt, wo er im April 1943 starb.

 ?? FOTO: DAGMAR HUB ?? In Ulm hat es besonders viele homosexuel­le Verfolgte des NS-Regimes gegeben. Einer von ihnen ist Curt Mehrhardt, gegen den als Beweismitt­el unter anderem Liebesbrie­fe seines italienisc­hen Partners Fermo Grignaffin­i verwendet wurden.
FOTO: DAGMAR HUB In Ulm hat es besonders viele homosexuel­le Verfolgte des NS-Regimes gegeben. Einer von ihnen ist Curt Mehrhardt, gegen den als Beweismitt­el unter anderem Liebesbrie­fe seines italienisc­hen Partners Fermo Grignaffin­i verwendet wurden.

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