Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Sitzender Mann mit Anstand
Axel Hacke bringt das Publikum im Roxy mit Texten über falsch gehörte Liedtexte und rauchende Hunde zum Kugeln
ULM - Eine der ganz wichtigen Vorschriften für die Gestaltung von Tageszeitungen lautet: Großes groß, Kleines klein. Also werden die von den Redakteuren als wichtig empfundenen Texte wuchtig präsentiert, so wie dieser hier. Die anderen Stoffe haben als Randexistenzen zu gelten. Bei Axel Hacke ist das anders. Er macht das Kleine groß und ist damit als Autor, tja, eben groß geworden. Das Roxy ist voll, wenn der einzige Kolumnist Deutschlands kommt, der mit seinem Kühlschrank spricht.
Besagtes Haushaltsgerät soll aus den 1950er Jahren stammen. Offenbar hegt Hacke eine gewisse Vorliebe für aus der (Neu-)Zeit gefallene Dinge, denn der Sessel, auf dem er für die Lesung Platz nimmt, stammt wohl aus den 1960er Jahren und verströmt eine nostalgische Plüschigkeit. Auftritte von Axel Hacke sind ohnehin wie heimelige Plauderstündchen unter guten Freunden. Uns ist der Mann ja bestens vertraut, seit er mit seinem „Kleinen Erziehungsberater“für Eltern kleiner Kinder all das niedergeschrieben hat, was wir in der einen oder anderen Form schon erlebt haben, mit einem Unterschied: Hacke kann das ungleich besser und lustiger formulieren. Wie er da so sitzt in diesem orangefarbenen Sitzmöbel, neben sich ein Stapelchen selbst geschriebener Bücher, wartet man eigentlich nur auf den Moment, in dem er sich eine Pfeife anzündet, die erste Rotweinflasche entkorkt und Sachen sagt wie: „Da war ich neulich...“
Und so ähnlich ist es ja auch, obwohl der Abend zunächst ein wenig holperig beginnt, denn Axel Hacke trifft die Bühnentreppe nicht richtig und so wird es weniger ein Auftritt als ein Aufstolpern. Doch das kann ihn nicht aus der Bahn werfen: „Ich habe schon in allen möglichen Zuständen Lesungen gemacht, warum nicht mit einem kleinen Schienbeinbruch?“Ein typischer Hacke-Satz: selbstironisch-unterkühlt, mit eher stillem Witz formuliert.
Er plaudert viel an diesem Abend. Bevor es ans Lesen geht, muss erst mal über seinen Illustrator gesprochen werden, über Michael Sowa. Der pflegt in seinen Bildern einen ebenso stillen skurril-absurden Humor wie Hacke. In eines der Bilder für dessen Buch „Die Tage, die ich mit Gott verbrachte“hat er einen rauchenden Hund gemalt. Der kam im Text nicht vor, weshalb der Autor halt diesen paffenden Köter einfach reingeschrieben hat. Kein Problem für jemanden, der vorgibt, mit der Kücheneinrichtung zu reden.
Wenn Axel Hacke seine Anekdoten erzählt und eine Handvoll Kolumnen vorliest, dann blitzt ihm der Schalk aus den Augenwinkeln, dann lebt er auf, wenn das Publikum mitgeht, so als sei er davon selber überrascht.
Weil seine Texte nicht einfach flach dahingeplaudert sind, sondern immer mal wieder tiefer schürfen – etwa in seinem Buch über Gott, den er als melancholischen Künstler porträtiert, der beim Schöpfen nicht immer ein glückliches Händchen an den Tag legte – hat Hacke zuletzt ein sehr ernstes Werk verfasst. Er gab ihm den etwas länglichen Titel „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“. Mit seinen geschliffenen Betrachtungen trifft er einen Nerv, denn vom Anstand scheinen heutzutage immer mehr Menschen Abstand zu nehmen: Lügen in Zeiten der Trump-Ära, Shitstorms im Internet bei jeder sich bietenden Gelegenheit und die gefühlt immer rüderen Umgangsformen der Ich-Gesellschaft – Hacke setzt dem einen im besten Sinne konservativen Appell für Fairness, Solidarität, Rücksicht entgegen und wünscht sich, dass die Menschen einfach nicht mitmachen, wenn etwas „unanständig“ist. Der Applaus dafür ist anständig, allerdings kein Vergleich zum Finale, als Hacke seinen größten Hit auspackt: seine Betrachtungen über falsch gehörte Liedtexte aus der Trilogie vom „weißen Neger Wumbaba“.
Der geht auf eine Zeile aus „Der Mond ist aufgegangen“von Matthias Claudius zurück. Statt „...und aus den Wiesen steiget, der weiße Nebel wunderbar“, hatte mal jemand gemeint, aus den Wiesen erhebe sich „der weiße Neger Wumbaba“. Hackes Kunst besteht nicht darin, möglichst dämliche Verhörer zu präsentieren, sondern daraus wunderbar abstruse Betrachtungen abzuleiten. Die Besucher kugeln sich auf ihren Sitzen. Nach knapp zwei Stunden netto beendet Hacke den Abend und sagt artig „Auf Wiederhören“. Dabei müsste es heißen: „Auf Wiederverhören“.