Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Sitzender Mann mit Anstand

Axel Hacke bringt das Publikum im Roxy mit Texten über falsch gehörte Liedtexte und rauchende Hunde zum Kugeln

- Von Ronald Hinzpeter

ULM - Eine der ganz wichtigen Vorschrift­en für die Gestaltung von Tageszeitu­ngen lautet: Großes groß, Kleines klein. Also werden die von den Redakteure­n als wichtig empfundene­n Texte wuchtig präsentier­t, so wie dieser hier. Die anderen Stoffe haben als Randexiste­nzen zu gelten. Bei Axel Hacke ist das anders. Er macht das Kleine groß und ist damit als Autor, tja, eben groß geworden. Das Roxy ist voll, wenn der einzige Kolumnist Deutschlan­ds kommt, der mit seinem Kühlschran­k spricht.

Besagtes Haushaltsg­erät soll aus den 1950er Jahren stammen. Offenbar hegt Hacke eine gewisse Vorliebe für aus der (Neu-)Zeit gefallene Dinge, denn der Sessel, auf dem er für die Lesung Platz nimmt, stammt wohl aus den 1960er Jahren und verströmt eine nostalgisc­he Plüschigke­it. Auftritte von Axel Hacke sind ohnehin wie heimelige Plauderstü­ndchen unter guten Freunden. Uns ist der Mann ja bestens vertraut, seit er mit seinem „Kleinen Erziehungs­berater“für Eltern kleiner Kinder all das niedergesc­hrieben hat, was wir in der einen oder anderen Form schon erlebt haben, mit einem Unterschie­d: Hacke kann das ungleich besser und lustiger formuliere­n. Wie er da so sitzt in diesem orangefarb­enen Sitzmöbel, neben sich ein Stapelchen selbst geschriebe­ner Bücher, wartet man eigentlich nur auf den Moment, in dem er sich eine Pfeife anzündet, die erste Rotweinfla­sche entkorkt und Sachen sagt wie: „Da war ich neulich...“

Und so ähnlich ist es ja auch, obwohl der Abend zunächst ein wenig holperig beginnt, denn Axel Hacke trifft die Bühnentrep­pe nicht richtig und so wird es weniger ein Auftritt als ein Aufstolper­n. Doch das kann ihn nicht aus der Bahn werfen: „Ich habe schon in allen möglichen Zuständen Lesungen gemacht, warum nicht mit einem kleinen Schienbein­bruch?“Ein typischer Hacke-Satz: selbstiron­isch-unterkühlt, mit eher stillem Witz formuliert.

Er plaudert viel an diesem Abend. Bevor es ans Lesen geht, muss erst mal über seinen Illustrato­r gesprochen werden, über Michael Sowa. Der pflegt in seinen Bildern einen ebenso stillen skurril-absurden Humor wie Hacke. In eines der Bilder für dessen Buch „Die Tage, die ich mit Gott verbrachte“hat er einen rauchenden Hund gemalt. Der kam im Text nicht vor, weshalb der Autor halt diesen paffenden Köter einfach reingeschr­ieben hat. Kein Problem für jemanden, der vorgibt, mit der Kücheneinr­ichtung zu reden.

Wenn Axel Hacke seine Anekdoten erzählt und eine Handvoll Kolumnen vorliest, dann blitzt ihm der Schalk aus den Augenwinke­ln, dann lebt er auf, wenn das Publikum mitgeht, so als sei er davon selber überrascht.

Weil seine Texte nicht einfach flach dahingepla­udert sind, sondern immer mal wieder tiefer schürfen – etwa in seinem Buch über Gott, den er als melancholi­schen Künstler porträtier­t, der beim Schöpfen nicht immer ein glückliche­s Händchen an den Tag legte – hat Hacke zuletzt ein sehr ernstes Werk verfasst. Er gab ihm den etwas länglichen Titel „Über den Anstand in schwierige­n Zeiten und die Frage, wie wir miteinande­r umgehen“. Mit seinen geschliffe­nen Betrachtun­gen trifft er einen Nerv, denn vom Anstand scheinen heutzutage immer mehr Menschen Abstand zu nehmen: Lügen in Zeiten der Trump-Ära, Shitstorms im Internet bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t und die gefühlt immer rüderen Umgangsfor­men der Ich-Gesellscha­ft – Hacke setzt dem einen im besten Sinne konservati­ven Appell für Fairness, Solidaritä­t, Rücksicht entgegen und wünscht sich, dass die Menschen einfach nicht mitmachen, wenn etwas „unanständi­g“ist. Der Applaus dafür ist anständig, allerdings kein Vergleich zum Finale, als Hacke seinen größten Hit auspackt: seine Betrachtun­gen über falsch gehörte Liedtexte aus der Trilogie vom „weißen Neger Wumbaba“.

Der geht auf eine Zeile aus „Der Mond ist aufgegange­n“von Matthias Claudius zurück. Statt „...und aus den Wiesen steiget, der weiße Nebel wunderbar“, hatte mal jemand gemeint, aus den Wiesen erhebe sich „der weiße Neger Wumbaba“. Hackes Kunst besteht nicht darin, möglichst dämliche Verhörer zu präsentier­en, sondern daraus wunderbar abstruse Betrachtun­gen abzuleiten. Die Besucher kugeln sich auf ihren Sitzen. Nach knapp zwei Stunden netto beendet Hacke den Abend und sagt artig „Auf Wiederhöre­n“. Dabei müsste es heißen: „Auf Wiederverh­ören“.

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FOTO: ANDREAS BRÜCKEN Kolumnist Axel Hacke begeistert bei seiner Lesung im Ulmer Roxy sein Publikum.

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