Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Geostrategisches Schachspiel im Norden Syriens
Die vom Krieg bislang verschonte Kurdenregion Afrin im Nordwesten Syriens ist im gesamten Nahen Osten für ihre herrlichen Olivenhaine bekannt. Wohl deshalb gab die türkische Armeeführung ihrer am Wochenende gestarteten Armeeoffensive den zynischen Codenamen „Operation Olivenzweig“. „Schritt für Schritt“, verkündete der türkische Staatschef Recep Tayyib Erdogan am Samstag vollmundig, werde man den „Terror-Korridor“, den die syrischkurdischen Volksverteidigungsmilizen (YPG) an der türkischen Grenze errichtet hätten, zerstören und erst an der Grenze zum Irak haltmachen.
Das sind fast 600 Kilometer, von denen knapp 400 Kilometer von der YPG kontrolliert werde. Eine Übernahme dieses „Korridors“durch die türkische Armee ist allenfalls im schmalen Afrin möglich. Der gleichnamige „Kurdenkanton“hat nicht die gleiche strategische Bedeutung wie die weiter östlich liegenden „Kantone“Kobane und Cizre, wo sich neben großen Öl- umd Gasfeldern, dem fruchtbaren Ackerland in der Euphrat-Ebene auch mehrere Stützpunkte der US-Armee befinden. Diese sollen in absehbarer Zeit nicht aufgegeben werden. Gemeinsam mit der „YPG“, betonte der USAußenminister Rex Tillerson erst in vergangene Woche, werde man auch in Zukunft dafür sorgen, dass die Terrormiliz „Islamischer Staat“die türkisch-syrische Grenze nicht überschreitet – was diese mit der Duldung Ankaras mindestens drei Jahre lang getan hatte. Im Kanton Afrin sind dagegen keine US-Truppen stationiert. Ein militärisches Engagement sei daher nicht möglich, erklärte ein US-Militärsprecher.
Im Gegensatz zur USA hatte Russland im „Kanton“Afrin rund 100 Militärpolizisten stationiert. Sie galten als Hindernis für einen Einmarsch der Türkei, weshalb der türkische Generalstabschef Hulusu Akar und Geheimdienstchef Hakan Fidan am Donnerstag nach Moskau gereist waren, um einen Abzug der Militärpolizisten zu erwirken. Dieser erfolgte am Samstag kurz vor dem Beginn der „Operation Olivenzweig“.
Dass nahezu zeitgleich, etwa 100 Kilometer weiter südlich, syrische Regierungstruppen die bis dahin von Kaida-nahen Rebellen gehaltene Militärbasis Abu Duhur zurückeroberten, war ebenfalls kein Zufall. Der Vorstoss, da sind sich Landeskenner sicher, erfolgte nach Absprache zwischen Türken und Russen, für die ein riesiger Luftwaffenstützpunkt im Norden Syriens einen weitaus grösseren strategischen Wert hat als die pittoresken Olivenhaine von Afrin.
Verlierer im geostrategischen Schachspiel sind wieder einmal die Kurden, deren Autonomiebestrebungen nicht nur im Nahen Osten, sondern bei den Supermächten auf Skepsis oder Ablehnung stossen. Diese bittere Erfahrung hatten die Barzani-Kurden im Irak erst vor drei Monaten gemacht. Die YPG-Kurden können sich dagegen damit trösten, den grössten Teil ihres Autonomiegebietes vorerst für sich behalten zu können; zumindest solange, wie dort US-Truppen stationiert sind.