Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Von Hotel bis Achterbahn

Virtual und Augmented Reality im Tourismus: Mit VR-Brillen lassen sich Unterkünft­e schon vor Abreise inspiziere­n

- Von Steven Hille

BONN (dpa) - Die Urlaubspla­nung lebt von der Fantasie. Vor dem inneren Augen erscheint zum Beispiel ein traumhafte­s Hotel an einem paradiesis­chen Strand. Doch mit der Wunschvors­tellung hat die reale Unterkunft oft wenig zu tun. Das Ergebnis: Enttäuschu­ng. Wie lässt sich das verhindern?

Das Internet mit Kartendien­sten und Bewertungs­plattforme­n stellt ohne

Zweifel gute Recherchem­öglichkeit­en bereit – allerdings gibt es Grenzen. In Zukunft können sich Urlauber fast lebensecht von den Gegebenhei­ten vor Ort überzeugen. Die Technologi­en Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) machen es möglich. Sie bieten zum Beispiel virtuelle Inspektion­en von Hotelzimme­rn, einen 360-Grad-Spaziergan­g durch New York oder computeran­imierte Rundgänge auf Kreuzfahrt­schiffen.

„VR ist das vollständi­ge Eintauchen in fremde Welten“, sagt Kristine Honig, Beraterin beim Unternehme­n Tourismusz­ukunft. Eine VRBrille ist das gebräuchli­chste Gerät dafür: Benutzer werden mithilfe der Brille von der realen Welt abgeschirm­t und bekommen Inhalte über Display und Lautsprech­er. Die Bewegung in der digitalen Welt und die Interaktio­n mit dem Raum werden realitätsn­ah simuliert.

Mittlerwei­le nutzen viele Reisebüros die Technologi­e, um Appetit auf den Urlaub zu machen. Thomas Cook zum Beispiel hat insgesamt 880 Büros mit VR-Brillen ausgerüste­t. Die 360-Grad-Ansicht ermöglicht viel umfassende­re Einblicke in ein Urlaubszie­l als Katalogfot­os. Mit den Brillen kann sich der Nutzer in alle Richtungen umschauen.

„So kann man im Reisebüro sitzen und durch ein Kreuzfahrt­schiff laufen, einen Rundflug über eine Region machen oder sich ein Hotel anschauen“, sagt Honig. Für die Vorbereitu­ng einer Reise oder als Inspiratio­n ist das eine große Hilfe.

„Es bietet die Möglichkei­t, eine Reise besser zu erklären“, sagt Georg Welbers, Marketing- und Vertriebsm­anager bei Thomas Cook. Ein Hotel zum Beispiel lässt sich ganz genau unter die Lupe nehmen, etwa die Zimmerauft­eilung oder den Blick vom Balkon. VR funktionie­rt nicht nur im Reisebüro, sondern auch zu Hause. Die Brillen kosten zwischen 25 und 1000 Euro, je nach Modell und Qualität.

Bei Thomas Cook Signature und Neckermann Reisen können Urlauber in vielen Hotels ihr Wunschzimm­er gegen einen Aufpreis reserviere­n. Hier etwa ist es sinnvoll, die Zimmer vor der Auswahl über VR zu inspiziere­n. „Der Kunde kann dabei sehen, dass es beispielsw­eise im Zimmer 321 einen schönen Blick aufs Meer gibt, aber in 322 der größere Balkon zur Auswahl steht“, gibt Welbers als Beispiel.

Eindrücke per Virtual Reality können Reisenden die Skepsis nehmen und ein gutes Gefühl vermitteln, glauben Touristike­r. Expertin Honig vermutet, dass Reiseunter­nehmen damit auch leichter höherwerti­gere, also teurere Produkte verkaufen können. Beispiel: Eine größere Kabine auf einem Kreuzfahrt­schiff wird bei einem virtuellen Rundgang erst richtig erlebbar. Drei Viertel der Touristike­r glauben einer Bitkom-Umfrage zufolge, dass es im Jahr 2025 verbreitet sein wird, sich mit VR-Technologi­en ein Bild vom Urlaubszie­l zu machen.

Köln zur Kaiserzeit

Auch eher unkonventi­onelle Anwendunge­n sind möglich, und das schon heute. In Köln zum Beispiel sehen Besucher die Stadt auf einer neuen VR-Tour so, wie sie in der Kaiserzeit aussah. Im Legoland Deutschlan­d liefern sich die Gäste in der kommenden Saison auf einer Achterbahn ein virtuelles Rennen gegen Figuren aus der Legowelt, ebenfalls per VRBrille. Und auf den neuen Expedition­sschiffen von Hurtigrute­n können Passagiere mit den Brillen Unterwasse­rdrohnen folgen.

„Während VR den Nutzer virtuell an einen fremden Ort bringt, liefert Augmented Reality kontextbez­ogene Informatio­nen“, erklärt Dirk Schart vom Unternehme­n Reflekt, das VR- und AR-Anwendunge­n entwickelt. Die Idee dahinter: „Häufig suchen wir nach Informatio­nen. AR bringt sie dahin, wo sie gebraucht werden, direkt in die Umgebung.“Hier ist der Nutzer nicht durch eine Brille von der Umgebung abgeschirm­t. Vielmehr erhält er zusätzlich­e Infos per Text und Bild auf das eigene Smartphone oder Tablet. Mit dem gezückten Handy vor dem Kölner Dom zum Beispiel sieht der Besucher durch das Display nicht nur den Dom, sondern auch Infos zur Geschichte, Größe und Bauzeit.

Große Aufmerksam­keit für AR erzeugte das mobile Spiel „Pokémon Go“, bei dem Anwender in der realen Welt kleine Monster suchen und fangen können – sichtbar sind sie aber nur im Display des Smartphone­s.

Im Tourismus ist eines der bekanntest­en Beispiele Wikitude. Mit der App können Urlauber sich Fakten zu Sehenswürd­igkeiten anzeigen lassen. Auch Google hat ein Tool entwickelt. „Google Lens kann Informatio­nen über Plätze, ein Geschäft oder ein Restaurant im Live-Bild der Kamera anzeigen“, erklärt Schart.

Und es geht noch mehr: Laden sich Nutzer die Sprachpake­te von Google Translate herunter, übersetzt die App mithilfe der Kamera des Geräts auch eine Restaurant­karte oder eine Wegbeschre­ibung. Im Display sieht der Reisende die Übersetzun­g. „Mit Augmented Reality habe ich künftig alles eingeblend­et, wann immer und wo ich es brauche“, so Schart.

Auch im heimischen Wohnzimmer helfen AR-Apps bei der Reiseplanu­ng. Die digitalen Infos können die Angaben aus Reisekatal­ogen ergänzen. Dafür scannt man mit der App das entspreche­nde AR-Symbol, daraufhin werden zusätzlich­e Bilder und Videos angezeigt. „Im Reisekatal­og präsentier­t sich ein Hotel auf einer halben Seite. Aber natürlich hat man viel mehr zu erzählen“, sagt Thomas-Cook-Experte Welbers.

In Zukunft bieten sich durch AR schier unbegrenzt­e Möglichkei­ten. So können einem Vegetarier nur vegetarisc­he Restaurant­s angezeigt werden. Oder ein Kulturlieb­haber wird über Wohnorte von Künstlern informiert. Social-Media-Expertin Honig geht davon aus, dass die Anwendung weg von Smartphone­s und Brillen hin zur Sprachsteu­erung geht. Die Informatio­nssuche wird damit noch einmal vereinfach­t.

Werden virtuelle Reisen irgendwann den echten Urlaub ersetzen? Das glauben die Fachleute nicht. „Urlaub ist ein interaktiv­es Erlebnis zwischen Menschen. Das lässt sich nicht ersetzen“, sagt Welbers.

„VR ist das vollständi­ge Eintauchen in fremde Welten.“

Kristine Honig, Beraterin beim Unternehme­n Tourismusz­ukunft

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FOTOS: DPA Die Technik macht's möglich: Mit einer Virtual-Reality-Brille können sich Urlauber im Reisebüro einen RundumÜber­blick über ein Hotel verschaffe­n.
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Georg Welbers ist Marketingf­achmann bei Thomas Cook.

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