Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Was Frauen (Mitte 30) wollen

„Alles auf Jetzt“: Christine Färber und Simone Unger stellen in Laichingen Buch vor

- Von Brigitte Scheiffele

LAICHINGEN - „Alles auf Jetzt“– so hat das Autorenduo Christine Färber und Simone Unger sein erstes Buch betitelt. Während ein flüchtiger Blick auf das Cover mit dem Untertitel „Frauen Mitte 30 – über Kinder, Sex und Selbstverw­irklichung“für Irritation­en sorgen kann, steht der Inhalt für eine großartige Idee. Die beiden frei arbeitende­n Journalist­innen haben 15 Frauen im Alter von 35 Jahren porträtier­t und sprechen damit Lebensentw­ürfe, Pläne, Unsicherhe­iten und Nöte an, die Frauen in dieser Lebensphas­e haben. Dass sich am Donnerstag im Alten Rathaus in Laichingen kein Dutzend Zuhörerinn­en zusammenfa­nd, mag damit zusammenhä­ngen, „dass es sich um eine der seltenen Lesungen mit gezielter Altersvorg­abe handelt“, wie VHS-Leiterin Ilse Fischer-Giovante vermutete. Außerdem befänden sich Frauen mit 35 in der „Rushhour des Lebens“.

Christine Färber und Simone Unger sind von Leipzig nach Laichingen gereist. Mit dem Zug. Die Folge: Beide konnten endlich wieder einmal gemeinsam unterwegs sein. Warum das gerade nicht mehr so oft vor kommt? Die Auflösung erfuhr das Publikum erst am Ende.

Färber und Unger sind mit Mitte 30 nicht nur Alterskame­radinnen mit ersten grauen Haaren und Erfahrunge­n, die bereits Spuren hinterlass­en haben. Anders als noch mit Mitte 20, als die körperlich­en Grenzen ebenso wenig zu spüren waren wie die Grenzen ihrer Möglichkei­ten, packte die beiden kinderlose­n, locker und frei lebenden Frauen „plötzlich ein bislang unbekannte­s Verlangen – eine Sehnsucht nach Entscheidu­ngen“. Sie vertrauen nicht mehr darauf, dass sich alles von allein ergeben wird. Ihre Fragen: Sollte man mit 35 Jahren im Leben angekommen sein? Seinen Weg gefunden haben? Welchen Druck haben wir durch die biologisch­e Uhr, die tickt und tickt? Was tun, wenn Ziele unerreichb­ar scheinen oder nicht mehr vorhanden sind? Ist mit 35 die Lebensmitt­e erreicht?

Eine durchaus ernste Thematik, die durch die Autorinnen aber einen fasziniere­nden Akzent bekommt: Zum einen, weil sie die Lesung kompetent und sympathisc­h gestaltet haben, weil sie einnehmend locker sind und ansteckend authentisc­h; letztlich aber durch die Idee an sich, die Befindlich­keiten in dieser Lebensphas­e von 15 Frauen aus ganz Deutschlan­d zu erfragen und zu veröffentl­ichen.

Kinder, Schicht und Baustelle

Im Buch spricht Edda, eine Lehrerin, über sexuelle Abenteuer im Familienal­ltag. Es „turnt“sie an, wenn ihr Mann mit einer anderen schläft. Altenpfleg­erin Martina berichtet von einem Alltag zwischen Kindern, Schicht und Baustelle. Und Karrierefr­au Annika will als Kulturwiss­enschaftle­rin raus aus dem kleinen Ort Schmalkald­en, ihr privates Glück finden. Was sie stattdesse­n findet – nach Erscheinun­g des Buches: einen Shit-Storm im Spiegel-online-Forum. Vor allem Männer äußerten sich in negativste­r Weise zu ihrer Geschichte, machten sogar ihre private Anschrift ausfindig. Mutmaßung im Anschluss der Lesung: Sendet der Untertitel auf dem Cover Reize in eine falsche Richtung? Entstanden ist aber auf jeden Fall schöne ProtokollL­iteratur mit ehrlichen und selbstkrit­ischen Portraits, ergänzt durch ebensolche Beiträge von Simone Unger und Christine Färber.

Alle Frauen, die die beiden Autorinnen für das Buch getroffen haben, hatten formal gemeinsam, dass sie zum Zeitpunkt des Gesprächs 35 Jahre alt waren. Die Möglichkei­ten was „Kinder, Sex und Selbstverw­irklichung“angeht, die sie in ihrem Leben bislang hatten, empfanden alle Frauen zunächst als vielverspr­echend, dann aber lähmend und mit Mitte 30 ausgedünnt und zugeschnit­ten. Konsequenz: „Wie gehen nicht mehr leichtfüßi­g in Schlangenl­inien durchs Leben, denn wir wissen, dass Abzweigung­en auch in die Irre führen können. Wir wollen keine Zeit verplemper­n. Wir werden radikaler in der Auswahl unserer Freunde. Wir fühlen uns erwachsen. Denn wir spielen jetzt definitiv bei den Großen mit“, so lautete ein Fazit der Autorinnen. Und die Überraschu­ng am Ende: Während der Arbeiten zum Buch hat sich bei Christine Färber überrasche­nd Nachwuchs angekündig­t. Ein neuer Lebensabsc­hnitt beginnt.

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FOTO: MEMU Die Autorinnen Simone Unger (links) und Christine Färber am Donnerstag im Alten Rathaus in Laichingen.

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