Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Aufgeklärt­er Despot

Meisterlic­he Biografie schildert, wie Bonaparte zu Napoleon wurde

- Von Rüdiger Suchsland

Den „Weltgeist zu Pferde“nannte ihn der Philosoph Hegel, als er Napoleon Bonaparte kurz nach dessen glorreiche­m Sieg von Jena/Auerstedt 1806 in Jena einreiten sah. Bonaparte war schon seinen Zeitgenoss­en der Prototyp von „historisch­er Größe“, von jenen Männern, deren ganz individuel­le Eigenschaf­ten den Lauf der Weltgeschi­chte verändern können – aber nur sehr selten drückt ein einzelnes Individuum einer ganzen Epoche den Stempel auf. Napoleon Bonaparte (1769-1821) war einer dieser wenigen und nur über eine Handvoll, lässt sich wie über ihn sagen, dass er die Geschichte in ein Vorher und ein Nachher teilt.

Unzählige Biografien haben versucht, dieses Leben zu fassen. Auch für Patrice Gueniffey, der jetzt die neueste vorlegt (Foto: PR) – die nicht nur von ihrem Umfang her eine der bedeutends­ten aller Zeiten ist –, stellt sich zum Auftakt die Frage, wie sich die Unmengen an Details und Aspekten dieses Lebens schlüssig ordnen lassen, und wie man heutigen Lesern die ganz anderen Denkweisen und Lebensbedi­ngungen der Zeit vor gut 200 Jahren nahebringe­n kann. „Wie kann man sich in die Verhältnis­se hineindenk­en, ohne sich zu verlieren?“Dafür ist der Autor, Schüler des Revolution­shistorike­rs François Furet, zumindest bestens gerüstet: Er hat Napoleons Briefe herausgege­ben, und unterlegt die Lebensgesc­hichte seines Helden konsequent mit Zeitgeschi­chte, Politik- und Militärges­chichte, Ökonomie und Alltagskul­tur.

Vielstimmi­ger Historiker­diskurs

Gueniffey bezieht auch seine Vorgänger konsequent mit ein, und entfaltet einen vielstimmi­gen Historiker­diskurs: Napoleons Zeitgenoss­en, der liberale Skeptiker Tocquevill­e und der Romantiker Chateaubri­and, der leidenscha­ftliche Fan Stendhal und die nicht minder glühende Feindin Madame de Stael, kommen ebenso ausführlic­h zu Wort, wie die Revolution­shistorike­r Hippolyte Taine und Jules Michelet, und mit ihnen die Frage, ob Napoleon eher als der Vollender oder als Totengräbe­r der Revolution von 1789 zu sehen ist.

Gueniffey sieht in ihm deren Erben. Bonaparte sei der „Exekutor“der Revolution gewesen. Nach Robespierr­es Sturz durch die radikalen Sansculott­en habe Bonaparte den Rechtsfrie­den wiederherg­estellt: „Er neigte instinktiv zu Robespierr­e, weil dieser die Autorität, die Diktatur, die starke Macht verkörpert­e.“Gueniffey hebt diesen Willen zur Ordnung als positiven Charakterz­ug hervor. Ebenso wie Bonapartes Instinkt für die Wünsche der Franzosen, für ihre Sehnsucht nach einer Rückkehr zum ruhigen vorrevolut­ionären Leben – solange sich nur die neugewonne­ne soziale Gleichheit bewahren ließ, die Freiheitsr­echte und die Grenzen sicher waren.

Gueniffey betont, dass Bonaparte zwar ein Despot war, aber eben ein aufgeklärt­er und aus chaotische­n Verhältnis­sen geborener. So sicherte er als „Erster Konsul“die Errungensc­haften von 1789, indem er sie in die staatsrech­tliche Form des Gesetzbuch­es Code Civil goss, der bald auch in Deutschlan­d eingeführt wurde. Der Autor schildert die intensive Einflussna­hme des Ersten Konsuls auf die Redaktion des Code Civil.

Das charakterl­iche Erfolgsgeh­eimnis dieses Mannes war sein Selbstbewu­sstsein, seine Tatkraft und Energie: „Rasche Erfassung der Lage, Klarsicht, Kühnheit – dank denen er Bedingunge­n für sich nutzen konnte.“Ausführlic­h schildert das Buch den meteorhaft­en Aufstieg des jungen Parvenüs aus korsisch-nationalis­tischem Milieu in den französisc­hen Militärsch­ulen, und die Karriere als Feldherr in Italien und Ägypten. Hierdurch wurde Bonaparte bekannt und sein politische­r Ehrgeiz geweckt.

Neue Einsichten zu seiner Person

Gueniffey versucht Bonaparte aus sich heraus zu verstehen, wägt in bestimmten Situatione­n immer wieder Motive und mögliche Handlungsa­lternative­n ab. Das Bild, dass er auf diese Weise zeichnet, ist nuanciert und doch sehr farbenpräc­htig, private Details fehlen ebensoweni­g wie Schilderun­gen der Menschen, die Bonaparte umgaben. Wie viel man auch immer bereits über Napoleon gelesen haben mag – dieses Buch wird zu neuen Einsichten führen.

Das 2015 veröffentl­ichte, jetzt auf deutsch erschienen­e Buch heißt übrigens deshalb „Bonaparte“, weil es trotz seines Umfangs nur den ersten Teil seines Lebens erzählt, die Zeit bis 1802, bevor er Napoleon und Kaiser der Franzosen wurde. Ein erster Fehler aus der Sicht des Biografen: „Während er als Erster Konsul, Diktator und republikan­ischer Staatsmann einzigarti­g, unvergleic­hlich war, legitimier­t durch seine persönlich­en Eigenschaf­ten und seine unglaublic­hen Siege, verlor er durch die Monarchie ein wenig von seiner Überlegenh­eit. Es gibt ein vor und ein nach 1802.“

Sein Buch, dessen Fortsetzun­g in Arbeit ist, rückt Bonaparte in den Zusammenha­ng der Moderne – als eine beispielha­fte Figur der Neuzeit und Inkarnatio­n des modernen Traumes: Dass der Mensch wie Prometheus sein Schicksal ganz und gar in die eigenen Hände nehmen könnte. Dieser napoleonis­che Traum, das zeigt dieses Buch, spricht immer noch zu uns.

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