Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das Erbe von Stalingrad ist allgegenwä­rtig

Vor 75 Jahren ging in der Stadt an der Wolga eine der grausamste­n Schlachten des Zweiten Weltkriegs zu Ende

- Von Claudia Thaler

WOLGOGRAD (dpa) - Ein riesiges Monument und ein schlichter Soldatenfr­iedhof: Wo einst Hunderttau­sende in Stalingrad ihr Leben verloren, mahnen nun Denkmäler. In Wolgograd erinnern viele Orte an die Geschehnis­se im Kriegswint­er 1942/43.

Schneefloc­ken wirbeln auf die Inschrifte­n der Grabsteine, die eisige Luft macht das Atmen schwer. Die Stille an dem Hügel im einstigen Stalingrad wird nur durch den Stechschri­tt der russischen Soldaten unterbroch­en, die zur Wachablöse am Ewigen Feuer herbeimars­chieren. Das riesige Monument Mutter Heimat übersieht niemand in Wolgograd. Es erinnert an eines der schlimmste­n Kapitel im Zweiten Weltkrieg – die Schlacht von Stalingrad. Die Kapitulati­on der 6. Armee um General Friedrich Paulus und somit das Ende der Schlacht jährt sich zum 75. Mal.

Die Russin Valentina hält inne, ihr Blick richtet sich in die Höhe. Ehrfürchti­g legt sie ihre Hand auf den Sockel des 85 Meter großen Monuments. „Es zieht mich immer wieder hierher – wie ein Magnet“, sagt die Frau. Sie ist in Wolgograd geboren, ihre Familie durchlebte die Belagerung der Stadt. Auch deswegen ist der Besuch hier für Valentina jedes Mal sehr emotional.

Die Wehrmacht hatte monatelang versucht, die Stadt einzunehme­n. Im Winter 1942/43 wurden jedoch Hunderttau­sende Soldaten von der Roten Armee eingekesse­lt. Der Sieg der sowjetisch­en Truppen gilt als der Wendepunkt des Krieges. 700 000 Soldaten und Zivilisten kamen Schätzunge­n zufolge in der Schlacht um. Die strategisc­h und auch ideologisc­h wichtige Industries­tadt, die bis 1961 den Namen des Sowjetdikt­ators Josef Stalin trug, war komplett zerstört und wurde fast vollständi­g neu errichtet. Die Vergangenh­eit ist jedoch allgegenwä­rtig. Von der Allee der Helden, dem Platz der getöteten Kämpfer, bis hin zur Straße der Roten Armee: Beinahe jeder Ort hält die Erinnerung an die dramatisch­e Geschichte wach.

Multimedia­show im Museum

„Die Stadt wird ewig mit dem Krieg verbunden sein. Das ist unser Schicksal“, sagt der Leiter des Stalingrad­Museums, Alexej Wassin. Aus dem Fenster seines Büros blickt er direkt auf die Backstein-Ruine des sogenannte­n Pawlow-Hauses im Stadtzentr­um. Hier tobte wochenlang ein heftiger Kampf zwischen sowjetisch­en und deutschen Soldaten – mittendrin bangten die in der Stadt eingeschlo­ssenen Kinder, Mütter und alten Menschen um ihr Leben. „Bald zeigen wir genau hier auch eine Multimedia­Show. Das richtet sich dann besonders an die jungen Leute“, sagte Wassin.

„Es geht hier nicht nur um Patriotism­us und Heldentum“, sagt der Museumsdir­ektor. „Die Großväter und -mütter leben nicht mehr. Alle Zeitzeugen der Schlacht sterben und können uns bald nicht mehr vom Schicksal unserer Stadt erzählen.“Wassins Museum zählt zu den meistbesuc­hten Ausstellun­gen Russlands. Mehr als zwei Millionen Menschen seien 2017 in das Museum am Wolga-Ufer gekommen.

In dem kreisrunde­n Bau reihen sich Raketenwer­fer an Sturmgeweh­re und Uniformen. An den Wänden hängen riesige Bilder, die Stalin und sowjetisch­e Generäle in heroischen Posen zeigen. Genau dokumentie­rt werden die Kampfhandl­ungen, kurze Filmsequen­zen zeigen den Horror der Tage. Bombenhage­l ließ damals die Stadt in Flammen aufgehen.

Fast unauffälli­g wirkt hingegen der Soldatenfr­iedhof Rossoschka, rund 40 Kilometer von Wolgograd entfernt. Nur eine wenig befahrene Landstraße führt zu der Gedenkstät­te. Hier sind nicht nur Soldaten der deutschen Wehrmacht, sondern auch Angehörige der Roten Armee begraben. Die Gegner von einst sind nur durch die holprige Straße getrennt.

Hunderte Helme auf Grabsteine­n reihen sich aneinander, sie erinnern an die toten sowjetisch­en Soldaten. Auf deutscher Seite stehen meterhohe Granitblöc­ke, in denen die Namen und Sterbedate­n der gefallenen Soldaten

eingemeiße­lt sind. Mehr als 61 000 Gefallene sind hier bestattet, umgekommen bei Kampfhandl­ungen oder in der Kälte erfroren, sagt Peter Lindau vom Volksbund Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge. Seit rund 25 Jahren sucht die Organisati­on im Gebiet der früheren Frontlinie nach sterbliche­n Überresten der Gefallenen – in Zusammenar­beit mit russischen Behörden.

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FOTO: AFP Russlands Präsident Wladimir Putin legt auf einem Grabmal für sowjetisch­e Soldaten einen Kranz und rote Rosen nieder. Die Stadt Wolgograd gedachte am Freitag der Kapitulati­on in Stalingrad vor 75 Jahren.

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