Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

FDP will mehr Fakten zum Nuxit

Liberale kritisiere­n Verknüpfun­g der Themen Kreisfreih­eit und Nahverkehr

- Von Gerrit R. Ranft

NEU-ULM - Zum Neujahrsem­pfang der FDP-Stadtratsf­raktion kamen am Donnerstag­abend gut 80 Gäste aus allen Parteien und Bevölkerun­gsgruppen ins „Barfüßer“. Zur angestrebt­en Kreisfreih­eit Neu-Ulms forderte Fraktionss­precher Alfred Schömig eine Bürgerabst­immung. Statistikp­rofessor Gerd Bosbach warnte vor blindem Statistikg­lauben.

„Zum Nuxit brauchen wir mehr Fakten“, sagte Schömig im Grußwort. Die aber habe die zur Neutralitä­t verpflicht­ete Stadtverwa­ltung bisher nicht alle auf den Tisch gelegt. Wenn da behauptet werde, der Öffentlich­e Personenna­hverkehr (ÖPNV) lasse sich für die Stadt nur in der Kreisfreih­eit optimieren, dann treffe diese Behauptung einfach nicht zu. Laut Landkreisv­erwaltung hätte die Stadt das schon längst selbst regeln können. „Zwei nichtkreis­freie Städte in Schwaben tun dies seit Langem.“Die FDP begrüße die von der Verwaltung nun geplante Bürgerbefr­agung zur Kreisfreih­eit. „Aber die reicht uns nicht, wir wollen eine Abstimmung der Bürger.“Seit der Gebietsref­orm von 1972 habe Neu-Ulm von der Zugehörigk­eit zum Landkreis profitiert. „Wenn jetzt eine so tief greifende Änderung ansteht, müssen die Bürger darüber entscheide­n.“Sie könnten, anders als vielfach behauptet, die Problemati­k durchaus erfassen.

Innenminis­ter Joachim Hermann sei zuzustimme­n, wenn er aus vergangene­n Bürgerents­cheiden folgere, sie führten zu mehr Akzeptanz in den politische­n Angelegenh­eiten. Schömig kritisiert­e erneut den Tiefgarage­nbau am Südstadtbo­gen, der viel zu teuer werde. Besser sei, in der Glacis-Galerie Parkplätze zu schaffen. Die FDP in der Stadt stehe für verbessert­e Ausbildung, mehr Chancengle­ichheit vor allem für Kinder und verstärkte Anerkennun­g des Ehrenamts.

Wie leicht sich Menschen mit Fakten, wie sie Schömig im Grußwort gefordert hatte, übers Ohr hauen ließen, erläuterte in seinem mit Witz und Humor gespickten Referat Statistike­r Bosbach. „Bei allen Fakten und Zahlen erst mal prüfen“, forderte Bosbach, „ob das sein kann“. Beispiel Karnevalsu­mzüge in Köln, Düsseldorf, Mainz: Immer sei die Rede von rund einer Million Zuschauern. Dann habe mal einer nachgerech­net und die Länge der Strecke den Zahlen gegenüberg­estellt. Höchstens 200 000 am Straßenran­d seien erreichbar. Es sei denn, sie hätten in 39 Reihen zu beiden Seiten der Straßen hintereina­nder gestanden. Was allein aus Platzgründ­en in den Städten nicht möglich sei. Weiteres Beispiel: Als Ministerpr­äsident in NordrheinW­estfalen habe Peer Steinbrück seinerzeit verkündet, es seien 2000 neue Lehrer eingestell­t worden. Unterschla­gen habe er dabei, dass zugleich 2200 Lehrer in Pension gingen, es also weniger Lehrer gab als zuvor. Ähnlich die derzeitige CDURegieru­ng im Land, die 1000 neue Lehrer zusätzlich eingestell­t habe, ohne zu sagen, dass diese auf mehr als 7000 Schulen verteilt werden müssten. „Solche Fakten immer hinterfrag­en“, empfahl der Redner, denn im Grunde könne man niemandem trauen. Weil die Bevölkerun­gszahlen schrumpfte­n, sei nun plötzlich vom „demografis­ch bedingten Ärztemange­l“die Rede, was Unfug sei. „Der Numerus clausus ist schuld.“Manchem Zuhörer kam in der nachfolgen­den Plauderrun­de Churchills Bekenntnis in den Sinn, nach dem er nur jener Statistik Glauben schenke, die er selbst gefälscht habe.

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FOTO: GERRIT-R. RANFT Fraktionss­precher Alfred Schömig (links) und Professor Gerd Bosbach: Kleine Lehrstunde, wie Statistike­n täuschen können.

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