Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Ein langer Irrweg“ist heute noch zu sehen
Wanderausstellung thematisiert im evangelischen Gemeindehauses Münsingen das Verhältnis zum Judentum
MÜNSINGEN - „Ein langer Irrweg“– die Wanderausstellung „Vom christlichen Antijudaismus zu einem erneuerten Verhältnis zum Judentum“ist noch am heutigen Samstag, 10. Februar im Foyer des evangelischen Gemeindehauses in Münsingen zu sehen.
Die Ausstellung zeigt eindrucksvoll, wie holprig der lange Weg des Christentums von seiner über 1000jährigen hasserfüllten Verblendung gegenüber dem Judentum hin zu einem von Klarsicht, Lernbereitschaft und Respekt bestimmten Verhältnis zu seinen „älteren Brüdern“in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts war.
Denn seit den Anfängen des Christentums und seiner Loslösung von der jüdischen Mutter-Religion hatten bornierte Selbstüberschätzung und Hass gegen Juden das Christentum bestimmt; stellvertretend für die allgemeine arrogante Abwertung des Judentums durch die Kirchenväter in antiker Zeit wird der Kirchenvater Cyprian zitiert: „Die Juden haben sich durch ihre schweren Sünden die Ungnade Gottes zugezogen, weil sie den Herrn verlassen haben und den Götzen gefolgt sind. Die Juden werden die heiligen Schriften nicht verstehen, die man doch verstehen musste in den letzten Zeiten, nachdem Christus gekommen war. Christus wird das Haus und der Tempel Gottes sein, der alte Tempel hat aufgehört und ein neuer beginnt.“
Theologien im Mittelalter
Welche Früchte dann auf dem Boden solch christlicher Theologie im Mittelalter wuchsen, zeigen Zitate von hochrangigen Theologen, eingebettet zwischen die Figuren von Kirche und Synagoge am Straßburger Münster: Der triumphierenden Kirche wurde die geblendete Synagoge mit zerbrochenem Stab gegenüber gestellt, und nach dem Kreuzzugsaufruf Papsts Urban II 1096 fand „der fanatisierte christliche Pöbel“beim „Kreuzzug der Armen“es nur recht und billig, vor der großen Schlacht gegen die „Ungläubigen“im Heiligen Land erst einmal mordend und plündernd über die Judengemeinden in Nordfrankreich und Deutschland herzufallen, worüber der Jude Eliezer ben Nathan in einem eindrucksvollen Zitat berichtet.
Dass von da an das Leben der Juden in Europa von fortdauernder Angst vor neu aufflammendem Hass der christlichen Mitbürger und deren Mordbereitschaft bestimmt war, zeigen die folgenden Stationen: Nachdem das IV Laterankonzil eine Kennzeichnungspflicht für Juden in der Öffentlichkeit (Judenhut oder gelber Kreis auf der Kleidung) sowie die Lehre von der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi durchgesetzt hatte, tauchten plötzlich die Anschuldigungen der Hostienschändung gegen Juden auf und verbreiteten sich in Europa, ebenso wie bereits vorher die in England aufgetauchte Ritualmordlüge und später in der Zeit der Pestwellen die Anschuldigung der Brunnenvergiftung.
Hetzreden des Hofpredigers
Besonders befremdlich muss es nach diesen mittelalterlichen Verirrungen dann erscheinen, dass auch nach der Aufklärung die christliche Theologie weiter an den alten Mustern christlichen Judenhasses festhielt – so war es nur ein kurzer Schritt von den Hetzreden des Hofpredigers Stöcker im wilhelminischen Kaiserreiche zu den judenfeindlichen Entgleisungen der „Deutschen Christen“in der Zeit des Nationalsozialismus.
Erst recht unfassbar wirkt es dann, wenn nach dem Holocaust christliche Theologen in fortdauernder Verblendung die alten judenfeindlichen Sprüche erneuern – so der „Reichsbruderrat“in Darmstadt 1948 im „Wort zur Judenfrage“, in dem es heißt, dass „Gottes Gericht Israel in der Verwerfung bis heute nachfolgt“, oder der Theologe Rudolf Bultmann, der 1954 erklärt „Israel als Ganzes aber ist wegen seiner Verwerfung Jesu selber verworfen worden. Die christliche Gemeinde ist das wahre Volk Gottes.“!
Dennoch beginnt in dieser frühen Nachkriegszeit ein langsames Umdenken und Begreifen der eigenen Schuld, wie ein Zitat aus der Synode von Weißensee 1950 zeigt. Dass es dann bis zu einer wirklichen Umkehr ein weiter Weg voller innerchristlicher Kontroversen ist, lässt sich anhand der angedeuteten Stationen christlicher Erklärungen zum Judentum erahnen: Unter diesen stellt die Erklärung der Rheinischen Synode 1980 den wohl bedeutendsten Meilenstein dar. Sie wurde nach und nach von anderen Landeskirchen übernommen und macht ein Ende mit der überkommenen Verwerfungstheorie. Der von der evangelischen Landeskirche Hessen-Nassau im Jahre 1991 angefügte Zusatz bildet den Grundtenor der gezeigten, vom „Arbeitskreis Kirche und Israel“der Landeskirche Hessen-Nassau erarbeiteten Ausstellung: „Zur Umkehr gerufen, bezeugt die evangelische Kirche neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein.“
Neue brüderliche Begegnung
Doch längst vor solchen Synodal-Erklärungen war unter einzelnen Christen der Wunsch nach einer neuen, brüderlichen Begegnung mit Juden und der Wiederaufnahme eines christlich-jüdischen Dialogs wach geworden: Dies zeigen weitere Teile der Ausstellung, die namhafte Vertreter dieses christlich-jüdischen Dialogs, zum Beispiel in der „Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden beim deutschen evangelischen Kirchentag“(seit 1961) präsentiert, und eine Auflistung von Arbeitsprojekten. Und Initiativen in allen Landeskirchen lässt hoffen, dass es in der evangelischen Christenheit wirklich zu einer ernst gemeinten Umkehr gekommen ist.