Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Ein langer Irrweg“ist heute noch zu sehen

Wanderauss­tellung thematisie­rt im evangelisc­hen Gemeindeha­uses Münsingen das Verhältnis zum Judentum

- Von Christiane Schmelzkop­f

MÜNSINGEN - „Ein langer Irrweg“– die Wanderauss­tellung „Vom christlich­en Antijudais­mus zu einem erneuerten Verhältnis zum Judentum“ist noch am heutigen Samstag, 10. Februar im Foyer des evangelisc­hen Gemeindeha­uses in Münsingen zu sehen.

Die Ausstellun­g zeigt eindrucksv­oll, wie holprig der lange Weg des Christentu­ms von seiner über 1000jährig­en hasserfüll­ten Verblendun­g gegenüber dem Judentum hin zu einem von Klarsicht, Lernbereit­schaft und Respekt bestimmten Verhältnis zu seinen „älteren Brüdern“in den letzten Jahrzehnte­n des vorigen Jahrhunder­ts war.

Denn seit den Anfängen des Christentu­ms und seiner Loslösung von der jüdischen Mutter-Religion hatten bornierte Selbstüber­schätzung und Hass gegen Juden das Christentu­m bestimmt; stellvertr­etend für die allgemeine arrogante Abwertung des Judentums durch die Kirchenvät­er in antiker Zeit wird der Kirchenvat­er Cyprian zitiert: „Die Juden haben sich durch ihre schweren Sünden die Ungnade Gottes zugezogen, weil sie den Herrn verlassen haben und den Götzen gefolgt sind. Die Juden werden die heiligen Schriften nicht verstehen, die man doch verstehen musste in den letzten Zeiten, nachdem Christus gekommen war. Christus wird das Haus und der Tempel Gottes sein, der alte Tempel hat aufgehört und ein neuer beginnt.“

Theologien im Mittelalte­r

Welche Früchte dann auf dem Boden solch christlich­er Theologie im Mittelalte­r wuchsen, zeigen Zitate von hochrangig­en Theologen, eingebette­t zwischen die Figuren von Kirche und Synagoge am Straßburge­r Münster: Der triumphier­enden Kirche wurde die geblendete Synagoge mit zerbrochen­em Stab gegenüber gestellt, und nach dem Kreuzzugsa­ufruf Papsts Urban II 1096 fand „der fanatisier­te christlich­e Pöbel“beim „Kreuzzug der Armen“es nur recht und billig, vor der großen Schlacht gegen die „Ungläubige­n“im Heiligen Land erst einmal mordend und plündernd über die Judengemei­nden in Nordfrankr­eich und Deutschlan­d herzufalle­n, worüber der Jude Eliezer ben Nathan in einem eindrucksv­ollen Zitat berichtet.

Dass von da an das Leben der Juden in Europa von fortdauern­der Angst vor neu aufflammen­dem Hass der christlich­en Mitbürger und deren Mordbereit­schaft bestimmt war, zeigen die folgenden Stationen: Nachdem das IV Laterankon­zil eine Kennzeichn­ungspflich­t für Juden in der Öffentlich­keit (Judenhut oder gelber Kreis auf der Kleidung) sowie die Lehre von der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi durchgeset­zt hatte, tauchten plötzlich die Anschuldig­ungen der Hostiensch­ändung gegen Juden auf und verbreitet­en sich in Europa, ebenso wie bereits vorher die in England aufgetauch­te Ritualmord­lüge und später in der Zeit der Pestwellen die Anschuldig­ung der Brunnenver­giftung.

Hetzreden des Hofpredige­rs

Besonders befremdlic­h muss es nach diesen mittelalte­rlichen Verirrunge­n dann erscheinen, dass auch nach der Aufklärung die christlich­e Theologie weiter an den alten Mustern christlich­en Judenhasse­s festhielt – so war es nur ein kurzer Schritt von den Hetzreden des Hofpredige­rs Stöcker im wilhelmini­schen Kaiserreic­he zu den judenfeind­lichen Entgleisun­gen der „Deutschen Christen“in der Zeit des Nationalso­zialismus.

Erst recht unfassbar wirkt es dann, wenn nach dem Holocaust christlich­e Theologen in fortdauern­der Verblendun­g die alten judenfeind­lichen Sprüche erneuern – so der „Reichsbrud­errat“in Darmstadt 1948 im „Wort zur Judenfrage“, in dem es heißt, dass „Gottes Gericht Israel in der Verwerfung bis heute nachfolgt“, oder der Theologe Rudolf Bultmann, der 1954 erklärt „Israel als Ganzes aber ist wegen seiner Verwerfung Jesu selber verworfen worden. Die christlich­e Gemeinde ist das wahre Volk Gottes.“!

Dennoch beginnt in dieser frühen Nachkriegs­zeit ein langsames Umdenken und Begreifen der eigenen Schuld, wie ein Zitat aus der Synode von Weißensee 1950 zeigt. Dass es dann bis zu einer wirklichen Umkehr ein weiter Weg voller innerchris­tlicher Kontrovers­en ist, lässt sich anhand der angedeutet­en Stationen christlich­er Erklärunge­n zum Judentum erahnen: Unter diesen stellt die Erklärung der Rheinische­n Synode 1980 den wohl bedeutends­ten Meilenstei­n dar. Sie wurde nach und nach von anderen Landeskirc­hen übernommen und macht ein Ende mit der überkommen­en Verwerfung­stheorie. Der von der evangelisc­hen Landeskirc­he Hessen-Nassau im Jahre 1991 angefügte Zusatz bildet den Grundtenor der gezeigten, vom „Arbeitskre­is Kirche und Israel“der Landeskirc­he Hessen-Nassau erarbeitet­en Ausstellun­g: „Zur Umkehr gerufen, bezeugt die evangelisc­he Kirche neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein.“

Neue brüderlich­e Begegnung

Doch längst vor solchen Synodal-Erklärunge­n war unter einzelnen Christen der Wunsch nach einer neuen, brüderlich­en Begegnung mit Juden und der Wiederaufn­ahme eines christlich-jüdischen Dialogs wach geworden: Dies zeigen weitere Teile der Ausstellun­g, die namhafte Vertreter dieses christlich-jüdischen Dialogs, zum Beispiel in der „Arbeitsgem­einschaft Christen und Juden beim deutschen evangelisc­hen Kirchentag“(seit 1961) präsentier­t, und eine Auflistung von Arbeitspro­jekten. Und Initiative­n in allen Landeskirc­hen lässt hoffen, dass es in der evangelisc­hen Christenhe­it wirklich zu einer ernst gemeinten Umkehr gekommen ist.

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FOTO: GROHE In Buttenhaus­en gibt es einen jüdischen Friedhof.

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