Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Sendener Mordversuch war vorgetäuscht
Im August soll ein 42-Jähriger Opfer einer Messerattacke geworden sein - Ermittler sagen: Er stach sich selbst in den Rücken
SENDEN - Es war ein Überfall, der für Aufregung in Senden sorgte: Im August vergangenen Jahres wurde ein Mann frühmorgens auf offener Straße von hinten attackiert. Er erlitt mehrere Messerstiche in der Schulter, die Kriminalpolizei ermittelte wegen versuchten Mordes – tappte aber lange Zeit im Dunkeln. Es gab keinen logischen Zusammenhang zu vorherigen Auseinandersetzungen zwischen einem möglichen Angreifer und dem Geschädigten, dieser könnte also auch ein Zufallsopfer gewesen sein. Die Sendener Bürger sorgten sich: Bin ich in meiner Stadt noch sicher? Was ist, wenn ich wie aus dem Nichts von hinten angegriffen werde?
Doch die Sorge der Sendener war umsonst: Es gab nie einen Messerangriff aus dem Hinterhalt, der Mann hat alles erfunden. Das teilte die Polizei gestern mit.
Wie bereits berichtet, soll es im August 2017 zu einem Messerangriff an einem 42-jährigen Mann in Senden gekommen sein. Der Mann gab damals gegenüber den Ermittlern an, auf dem Weg von seiner Haustüre zu seinem auf der Straße geparkten Auto von einem Unbekannten mit einem Messer in den Rücken gestochen worden zu sein. Einen weiteren Stich in Richtung Kopf habe er durch seine Gegenwehr verhindern können.
Die Staatsanwaltschaft Memmingen stufte den Sachverhalt als versuchten Mord ein. Die Polizei suchte Zeugen, auch in unserer Zeitung wurde mehrfach über den Fall berichtet, der immer kurioser anmutete.
Nach einigen Tagen veröffentlichte die Kripo ein Phantombild, das der Beschreibung des Mannes und den Angaben einer Zeugin entsprach. Aufgrund der Fahndung gingen in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von konkreten Hinweisen auf Personen ein, welche allesamt aufwendig von der Kripo überprüft wurden. Trotzdem kamen die Beamten bei ihren Ermittlungen nicht weiter – und schöpften deswegen einen ganz anderen Verdacht.
Widersprüche lassen Polizisten zweifeln
Durch umfangreiche Ermittlungen stellte die Kriminalpolizei Neu-Ulm diverse Widersprüche des vermeintlichen Geschädigten fest. Dieser machte im Verfahren mehrmals falsche Angaben. Deswegen beantragte die Staatsanwaltschaft Memmingen schließlich eine Wohnungsdurchsuchung beim Geschädigten, die die Polizei in der vergangenen Woche durchführte. Danach wurde der Mann in einer Vernehmung mit seinen Widersprüchen konfrontiert. Am Ende räumte er ein, sich an dem Tag im August selbst mit einem Messer verletzt zu haben.
Gegen ihn wurde wegen Vortäuschens einer Straftat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Warum er sich erst selber verletzt und danach den Überfall vorgetäuscht und angezeigt hat, ist nach Auskunft der Polizei nicht bekannt. Wie Sven Hornfischer, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/ West, auf Anfrage unserer Zeitung mitteilt, sind derartige Fälle selten. Eine Straftat wie Diebstahl oder Beleidigung werde durchaus öfter vorgetäuscht, sagt Hornfischer. Doch dass der Polizei ein versuchter Mord vorgespielt wird, bei dem derjenige sich auch noch selber verletzt, das sei eher ein Einzelfall.
Mittlerweile geht die Polizei davon aus, dass die auf dem Phantombild gezeigte Person rein zufällig in der Nähe des ebenso vorgetäuschten Tatortes von einer neutralen Zeugin beobachtet wurde – wohl nur wenige Minuten nach der vorgetäuschten Tatzeit. Was den Fall wohl lange zudem schwierig gestaltete, ist der Zufall, dass die vom vermeintlichen Opfer frei erfundene Personenbeschreibung des Unbekannten mit der von der neutralen Zeugin beobachteten Person übereinstimmt.
Die Kriminalpolizei weist jedoch ausdrücklich noch einmal darauf hin, dass es sich bei der auf dem Fahndungsplakat abgebildeten Person um einen unbeteiligten Zeugen handelt.