Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Merklingen hat Zeitgeschichte vor der Haustür“
Autor Joachim Lenk spricht über den Bombenwald – Zeitzeugen geben Einblick in persönliche Erlebnisse
MERKLINGEN - In der Gemeindehalle Merklingen ist am Freitagabend die „nahe Vergangenheit in die Gegenwart geholt worden, um sie für die Zukunft zu konservieren“, so der Merklinger Bürgermeister Sven Kneipp. Viele Geschichtsinteressierte Zuhörer verfolgten seine Begrüßung zur Buchpräsentation „KleinAmerika links und rechts der Donau“von Hobbyhistoriker und Journalist Joachim Lenk. Der Reserveoffizier im Dienstgrad des Oberleutnants schreibt seit 15 Jahren Bücher über das Militär auf der Schwäbischen Alb und hatte zu einem Einblick auf die Hintergründe des „Bombenwaldes“Merklingen eingeladen.
Spaziergang wird zur Entdeckung
„Ich bin unzählige Male mit dem Hund durch den Wald gelaufen, ohne dass ich wusste, auf welch historischem Boden ich gehe“, meinte Kneipp. Doch auch heute lasse sich die Vergangenheit dort noch spüren. Das bestätigte Joachim Lenk. Im November vergangenen Jahres hatte er sein neuestes Werk im Wiley Club in den ehemaligen Wiley Barracks in Neu-Ulm vorgestellt. In seiner mittlerweile sechsten Veröffentlichung berichtete er unter anderem über die dort einstigen US-Kasernen, den USFlugplatz Schwaighofen, die Air Base Leipheim und auch über den Bombenwald Merklingen.
1952 beschlagnahmte die US-Armee das vier Kilometer nordwestlich gelegene Gebiet Merklingens – den damaligen Staatswald. Ab 1953 gab es dort ein Munitionsdepot mit 26 in grün gestrichenen Lagerhäusern. Die Munition sei per Fahrzeug und Hubschraubern gekommen. Zwei strategisch gut gelegenen Lichtungen seien dafür geeignet gewesen.
In den 60er-Jahren sei das Depot aufgelöst worden, doch der Wald wurde nicht zurückgegeben, sondern zum Standardübungsplatz umfunktioniert. 1968 seien die ersten Pershing-Raketen von Mainz aus in Merklingen angekommen. „Die Förster wussten es, waren aber zum Stillschweigen verpflichtet“, erzählte Joachim Lenk.
Erst Anfang der 80er-Jahre sei die Existenz ans Licht gekommen – durch Veröffentlichungen in den Medien. „Dann kamen Friedensleute zusammen“, erinnerte sich Lenk zurück und bringt in der Präsentation seine ganz persönlichen Erfahrungen und Empfindungen mit ein – so zum Beispiel bei der Menschenkette im Jahr 1983.
Im 256 Seiten starken Werk sind insgesamt 750 Fotos enthalten, die Erinnerungen wach halten. „Merklingen hat ein Stück Zeitgeschichte vor der Haustür“, sagte der Autor. Die Rätsel darum und die wenigen Aufzeichnungen seien es gewesen, die ihn bei den Recherchen antrieben. Er durchstöberte die Archive und sprach mit Zeitzeugen.
Einige davon waren gekommen. Neben Mitgliedern der American Legion und der Gesellschaft für Sicherheitspolitik war Corporal a.D Josef Ittner mit von der Partie. Der heute 92-Jährige ist Ex-Soldat der in der Bleidorn-Kaserne in Ulm stationierten 4079th Labor Service Company, die in den 1950er-Jahren für die Bewachung des Bombenwaldes zuständig war. Ittner machte die damalige ernsthafte Lage klar und brachte seine gebannten Zuhörer gleichzeitig mit persönlichen Anekdoten immer wieder zum Lachen. Er berichtete von der fehlenden Stromversorgung. „Es gab auch kein WC“, sagte er. Delta Packs mit Milch seien von den Haselmäusen angeknabbert und geleert worden. „Wir hatten als Ersatzgetränk auch mal ein Bier in Widderstall“, erinnerte sich Ittner zurück und lachte herzhaft auf. So auch, als er an einen gezähmten Fuchs dachte. Merklingen habe er wie eine Art Luftkurort empfunden. „Es war für mich eine gute Zeit gewesen, an die ich mich gerne zurückerinnere“, sagte der 92-Jährige.
So ergehe es auch Peter Seyfried, dem Merklinger Bürgermeister von 1977 bis 1986. Den Bombenwald habe immer etwas Mystisches umgeben. „Aber man hat nie etwas erfahren. Wir sind von Behörden und den Militärs angelogen worden. Es hat uns geärgert, wie mit uns umgegangen wurde. Man war so hilflos“, erzählte Seyfried. Die Friedensbewegung Blaubeuren sei sehr erstarkt. Stehblockaden, Demonstrationen: Teilweise seien 30 000 Menschen nach Merklingen gekommen – was die Kommune in Sachen Logistik sehr gefordert hätte. Nach der Abrüstung habe die Gemeinde fast fünf Jahre lang verhandelt, um das 40 Hektar große Gebiet zu erwerben. „Aus den Lasten der vielen Jahre war eine Chance entstanden“, zeigte der ExBürgermeister auf.
Das Buch endet nicht mit dem Abzug der der US-Armee im Jahr 1991, sondern zeigt auch auf, wie es heute um das Gebiet bestellt ist – inklusive der heutigen Bundeswehr-Landungsübungen des Hubschraubergeschwaders 64.
Den Bogen zur aktuellen Situation zwischen der Bundeswehr und den US-Streitkräften zog Markus Grübel, der parlamentarische Staatssekretär bei der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Vor einem Jahr habe es aufgrund der Äußerungen des US-Präsidenten Donald Trump hinsichtlich der Nato Irritationen gegeben, doch „die aktuellen Beziehungen sind sehr gut und wir lassen uns durch manche TwitterNachrichten nicht stören“, so Grübel.
Ziel sind 220 000 Soldaten
„Wir hatten als Ersatzgetränk auch mal ein Bier in Widderstall.“Corporal a.D. Josef Ittner erzählte von persönlichen Erlebnissen bei der Bewachung des Bombenwalds.
Europa sei gestärkt durch das Infragestellen der Nato hervorgegangen. Die Russland-Ukraine-Krise und das Erstarken des IS seien ein Wendepunkt gewesen – in Europa und den Staaten. Die US-Streitkräfte würden das Rückgrat der Nato bilden. 4000 amerikanische Soldaten gebe es derzeit in Baden-Württemberg. Der Bundeswehr gehören laut Markus Grübel derzeit 170 000 Soldaten an. Ziel sei, diese Zahl auf 220 000 aufzustocken.
Mehr von der Buchpräsentation gibt es im Internet unter www.schwäbische.de