Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das „Ja zum Leben“stärken

- Von Ludger Möllers l.moellers@schwaebisc­he.de

Im Jahr 2017 gab es in Deutschlan­d rund 10 000 Schwerkran­ke, die auf ein Spenderorg­an warteten, aber nur 797 Organspend­er: Deutschlan­d leistet sich mit der geringen Bereitscha­ft zur Organspend­e einen Skandal, der Tausende Patienten pro Jahr das Leben kostet. Die Gründe sind vielfältig: die Vertrauens­krise nach den Manipulati­onen 2012, das Misstrauen gegenüber staatliche­n Eingriffen in den Körper, die eigene Bequemlich­keit und vor allem Zweifel bei der Frage nach dem Hirntod: Gibt es wirklich keine Rettung, wenn das irreversib­le Ende aller Hirnfunkti­onen feststeht, Maschinen die übrigen Körperfunk­tionen aber am Leben halten?

Die Politik steckt im Dilemma. Die Widerspruc­hslösung, bei der Bürger automatisc­h als mögliche Organspend­er gelten, wenn sie nicht aktiv widersprec­hen, funktionie­rt in Ländern wie Österreich oder Spanien. In Deutschlan­d stieße sie auf heftigen Widerspruc­h. Aber der deutsche Weg einer freiwillig­en Entscheidu­ngslösung führt zu nichts. Zwar erhält jeder regelmäßig Informatio­nen, um die Entscheidu­ng für oder gegen eine Organspend­e zu dokumentie­ren. Die Unterlagen wandern meist in den Müll.

Der nächste Bundestag ist gefragt. Zwar gilt: „Der freiheitli­che, säkularisi­erte Staat lebt von Voraussetz­ungen, die er selbst nicht garantiere­n kann“, wie der Staatsrech­tler Wolfgang Böckenförd­e sagt. Aber der Staat kann konkret handeln, um jene Voraussetz­ungen zu verbessern. Drei Beispiele: Bereits im Religions- oder Ethikunter­richt sollte über Organspend­en gesprochen werden. Kliniken müssen über Hirntod, die Verwendung der Organe und die Finanzieru­ng Auskunft geben. Ärzte sollten mit Patienten und Angehörige­n offen sprechen.

Wahrschein­lich aber braucht Deutschlan­d eine ganz neue Debatte über die Forderung, dass jeder Bundesbürg­er mindestens einmal im Leben nach gründliche­r Informatio­n von einem Arzt nach seiner Bereitscha­ft zur Organspend­e gefragt werden soll. Die Freiheit, „Nein“zu sagen, bliebe erhalten. Die Chance, sehr viel öfter ein „Ja zum Leben“zu erhalten, wäre aber ungleich größer als heute.

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