Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ende der Haft weiter offen

Merkel erhöht im Fall Yücel Druck auf die Türkei

- Von Andreas Herholz und Tobias Schmidt

BERLIN (dpa) - Der türkische Ministerpr­äsident Binali Yildirim hat erneut seiner Hoffnung auf einen baldigen Gerichtspr­ozess im Fall des inhaftiert­en „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel Ausdruck verliehen. Einen möglichen Termin für das Vorlegen einer Anklagesch­rift durch die Staatsanwa­ltschaft und für den Beginn eines Verfahrens nannte er nach einem Treffen mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel aber nicht. „Ich hoffe, dass seine Verhandlun­g bald beginnt und es zu einem Ergebnis kommt“, sagte Yildirim am Donnerstag in Berlin.

Kanzlerin Merkel übte nach dem Gespräch Kritik an der Art und Weise, wie die Türkei seit dem Putschvers­uch vom Juli 2016 gegen mutmaßlich­e Verdächtig­e vorgeht. Deutschlan­d habe den versuchten Staatsstre­ich verurteilt. Sie habe ihrem Gast aber erklärt, dass die Verhältnis­mäßigkeit gewahrt bleiben müsse und „dass wir uns rechtsstaa­tliche Mechanisme­n wünschen.“

BERLIN - Es sei „ein nicht nur einfaches, aber auch nützliches und wichtiges Gespräch“gewesen, fasst die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Ende zusammen. Die Bundesregi­erung wünsche sich ein schnelles und rechtsstaa­tliches Verfahren für Deniz Yücel, drängt die Regierungs­chefin ihren Gast aus Ankara, den türkischen Ministerpr­äsidenten Binali Yildirim. Der Fall des inhaftiert­en „Welt“-Journalist­en habe eine besondere Dringlichk­eit. „Das habe ich auch gegenüber dem Ministerpr­äsidenten deutlich gemacht“, berichtet die Kanzlerin nach dem Treffen mit Yildirim.

Hinter den Erwartunge­n

Yildirim selbst hatte hohe Erwartunge­n geweckt, indem er schon vor dem Treffen eine baldige Freilassun­g Yücels in Aussicht gestellt hatte. Neben der Kanzlerin sagt er nun: „Ich hoffe, dass es in kürzester Zeit zu einem Verfahren kommt. Und wenn es zu einer Verhandlun­g kommt, kann es eine Hoffnung geben.“Aufgabe seiner Regierung sei es, die Verfahren „zu erleichter­n“. Wird er politische­n Druck machen, damit Yücel freikommt? Nein, immer wieder verweist der Regierungs­chef auf die Unabhängig­keit der türkischen Justiz. Von Einflussna­hme will er nichts wissen. Und warum sitzt Yücel schon ein Jahr ohne Anklage hinter Gittern? Nach dem Putschvers­uch seien „Tausende Verfahren“eingeleite­t worden, „die Gerichte haben viel zu tun“.

Antworten, die hinter den Erwartunge­n zurückblei­ben. Das Misstrauen bleibt groß. Recep Tayyip Erdogan, der Yücel als „deutschen Agenten“und „Terrorunte­rstützer“gegeißelt hatte, lässt Yildirim Grüße an Merkel überbringe­n. Sobald in Berlin eine neue Regierung gebildet sei, würde man sich freuen, die Kanzlerin in Ankara zu begrüßen, sagt Erdogans Emissär. Aber Merkel sieht auch nach dem Treffen mit Yildirim noch einen weiten Weg bis zur Normalisie­rung.

Deutschlan­d wünsche sich „rechtsstaa­tliche Mechanisme­n“, sagt sie mehrfach. Nach dem gescheiter­ten Putsch in der Türkei vor anderthalb Jahren müsse die Verhältnis­mäßigkeit gewahrt bleiben. Diesbezügl­ich gebe es in der Bundesregi­erung noch „eine Vielzahl von Sorgen“.

Kein Durchbruch, noch kein echtes Tauwetter für die deutsch-türkische Eiszeit. Aber immerhin, der Besuch sei „ein Zeichen, dass die Gesprächsb­ereitschaf­t von türkischer Seite da ist“, will die Kanzlerin die Kontakte intensivie­ren. Es gebe das Signal, die Beziehunge­n zu verbessern, man sei bereit zu einer offenen Aussprache und dazu, „den Faden wieder aufzunehme­n“. Doch werde manches sicher nicht einfach, dämpft die Kanzlerin die Erwartunge­n. „Den Versuch ist es allemal wert.“

Yildirims Besuch im Kanzleramt war mit Spannung erwartet worden. Die Opposition forderte Klartext gegenüber dem Gast aus Ankara und die sofortige Freilassun­g Yücels ohne Bedingunge­n und warnt vor etwaigen Tauschgesc­häften. „Frau Merkel muss dringend den Eindruck, den Herr Gabriel hinterlass­en hat, korrigiere­n, dass Deutschlan­d käuflich wäre“, erklärte Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt. Eine Anspielung auf Spekulatio­nen, die Bundesregi­erung gebe im Gegenzug für Yücels Freilassun­g grünes Licht für die Modernisie­rung türkischer Panzer, die sich Erdogan dringend wünscht. Hier bezieht die Kanzlerin klar Stellung: Es gebe „keinerlei Verbindung“zwischen Entscheidu­ngen über Rüstungsge­schäfte und Fällen inhaftiert­er Deutscher in der Türkei, wischt sie die Unterstell­ung von „schmutzige­n Deals“vom Tisch.

Protest vor dem Kanzleramt

Draußen vor dem Kanzleramt demonstrie­ren Dutzende Kurden gegen den Besuch aus Ankara, gegen Erdogans Krieg gegen die Kurdenmili­z YPG im Nordwesten Syriens. Auf der Pressekonf­erenz kommt es zu einem kleinen Eklat, als ein kurdischer Journalist Fotokopien mit Bildern von toten und verletzten Kindern verteilt, angeblich aus Afrin, wo türkische Truppen angegriffe­n haben. Yildirim sagt, der Journalist solle nicht versuchen, die Menschen zu manipulier­en, die Bilder seien nicht aus der syrischen Stadt Afrin. Er verteidigt den Militärein­satz gegen die YPG als AntiTerror-Maßnahmen, die Kurden würden versuchen, in Syrien „ihr eigenes Areal zu errichten“.

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel mahnte gegenüber dem türkischen Ministerpr­äsidenten Binali Yildirim mehrfach an, Deutschlan­d wünsche sich „rechtsstaa­tliche Mechanisme­n“.

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