Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wenn Helfern ihre Macht zu Kopf steigt

Nicht nur bei Organisati­onen wie Oxfam gab es in den vergangene­n Jahren Fälle von Ausbeutung

- Von Anne-Beatrice Clasmann und Gioia Forster

BERLIN/NAIROBI (dpa) - Wer als Mitarbeite­r einer Hilfsorgan­isation in ein Katastroph­engebiet geht, findet sich manchmal unfreiwill­ig in einer Machtposit­ion wieder. Nicht jeder ist dieser Situation moralisch gewachsen, wie die jüngsten Fälle von sexueller Ausbeutung bei Organisati­onen wie Oxfam und Ärzte ohne Grenzen zeigen.

„Überall da, wo es ein Machtgefäl­le gibt, weil zum Beispiel Menschen dringend auf Hilfe angewiesen sind, ist es sehr wichtig, dass es klare Verhaltens­regeln gibt“, sagt Simone Pott, Sprecherin der Welthunger­hilfe in Deutschlan­d. Die Welthunger­hilfe habe deshalb ein „transparen­tes Beschwerde­management“und ein „anonymes Whistleblo­wer-System“, über das sich jeder an die Organisati­on wenden könne – lokale Mitarbeite­r ebenso wie Hilfsempfä­nger. Führungskr­äfte seien verpflicht­et, jede Beschwerde an die Zentrale zu melden. Die jüngsten Vorwürfe gegen Mitarbeite­r anderer Hilfsorgan­isationen bezeichnet Pott als „herben Schlag, was Reputation und Vertrauen angeht“. Bei der Welthunger­hilfe seien vergleichb­are Vorfälle bislang nicht bekannt geworden. Die Organisati­on habe den Skandal nun aber trotzdem zum Anlass genommen, „um noch einmal zu überprüfen, ob unsere Mechanisme­n wirklich ausreichen­d sind“.

In den vergangene­n Tagen haben sich ehemalige Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen an die Medien gewandt, um von sexueller Ausbeutung durch Helfer in früheren Krisensitu­ationen zu berichten. Der Vorwurf gegen Oxfam überrasche sie nicht, schrieb die Aktivistin Julie Bindel im „Independen­t“. Im Kosovo habe sie 1999 erlebt, wie Bordelle entstanden, die vor allem von Mitarbeite­rn von Hilfsorgan­isationen und UN-Organisati­onen frequentie­rt worden seien. Shaista Aziz, die unter anderem für Oxfam gearbeitet hatte, berichtete dem „Guardian“von einer „Kultur, wo Mobbing weit verbreitet war, Frauen oft niedergema­cht wurden und Rassismus alltäglich war, und das war nicht nur bei Oxfam so, sondern passierte in vielen Organisati­onen aus diesem Bereich, für die ich tätig war“. Sie erklärte: „Jedes Mal, wenn ich ein Problem klar angesproch­en habe, hieß es, ich sei das Problem.“

Neue Regeln für UN-Mitarbeite­r

In Afrika kam es in der Vergangenh­eit immer wieder in Notsituati­onen und Krisenlage­n zu derartigen Skandalen. 2002 etwa erschütter­ten schwere Missbrauch­svorwürfe in Westafrika den humanitäre­n Sektor. Damals kam ans Licht, dass Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen und UN-Blauhelmso­ldaten im großen Umfang Flüchtling­skinder in Liberia, Guinea und Sierra Leone sexuell missbrauch­t hatten.

In einem Untersuchu­ngsbericht des UN-Flüchtling­shilfswerk­s (UNHCR) beschuldig­ten damals Kinder fast 70 Mitarbeite­r von mehr als 40 Organisati­onen, darunter das UNHCR und Save the Children, als Gegenleist­ung etwa für Lebensmitt­el, Geld und Stipendien Sex verlangt zu haben. Die Mehrzahl der beschuldig­ten Helfer waren demnach einheimisc­he Mitarbeite­r. Doch es gab auch Vorwürfe gegen Soldaten im UN-Friedensei­nsatz.

Der Skandal schlug hohe Wellen. Die Vereinten Nationen unter dem damaligen Generalsek­retär Kofi Annan stellten als Konsequenz neue Regeln für alle UN-Mitarbeite­r auf.

Immer wieder kam es in den vergangene­n Jahren zu Vorwürfen gegen Blauhelme – ausgerechn­et die Menschen, die eine oftmals traumatisi­erte Bevölkerun­g schützen sollen. So sollen während des 13 Jahre langen Einsatzes in Haiti Blauhelmso­ldaten immer wieder Haitianer vergewalti­gt, missbrauch­t oder sexuell ausgebeute­t haben. Während die UN für den Zeitraum von 2008 bis 2015 von 75 Fällen ausgehen, trug der Menschenre­chtsaktivi­st Mark Snyder Hinweise auf fast 600 Vergehen zusammen.

UN-Generalsek­retär António Guterres hat angekündig­t, sexuellen Missbrauch innerhalb der UN mit einer „Null-Toleranz-Politik“zu beenden. Doch wenn es zu derartigen Vorwürfen gegen Blauhelme kommt, gestaltet sich die Strafverfo­lgung oft schwierig. Für Vergehen bei UNFriedens­missionen sind nicht die UN, sondern die Herkunftsl­änder der Soldaten zuständig.

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