Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Nicht überall in den USA kommt es auf die Größe an

Kleine Berge, große Vielfalt – in den Neuengland-Staaten finden Winterurla­uber viel Abwechslun­g

- Von Verena Wolff Nicht sehr hoch, aber schneesich­er: Das Loon Mountain Resort in New Hampshire hat insgesamt 45 Kilometer Pisten.

BOSTON (dpa) - Wer an Neuengland denkt, dem kommen der farbenfroh­e Indian Summer oder kleine Fischerdör­fer in den Sinn. Aber Skigebiete? Eher nicht. Dabei gibt es in den Ausläufern der Appalachen eine Menge von ihnen. Sie bieten reizvolle Pisten, viel Geschichte – und ein Hauch Österreich.

Das Potenzial des Loon Mountain bewertete Sel Hannah ganz nüchtern. „Ein Olympia-Berg wird das nie werden“, sagte der frühere Skirennfah­rer, als er den Berg im US-Staat New Hampshire in den 1960er Jahren zu einem Skigebiet machen sollte. „Aber Kinder, Mütter und Väter werden es hier lieben.“Viel los war bis dahin nicht am Loon Mountain – das sollte sich mit dem Bau der ersten Lifte ändern. Am 27. Dezember 1966 eröffnete das Skigebiet, 30 000 Winterspor­tler kamen in der ersten Saison. Das Resort wurde seitdem stetig erweitert, ist mit seinen zwölf Liften und 45 Pistenkilo­metern aber noch immer überschaub­ar. Es geht maximal bis auf 930 Meter hinauf – deutsches Mittelgebi­rgsniveau.

Heute ist der Berg besonders bei Freestyler­n bekannt, die sich auf Kickern und Rails austoben wollen: Sechs Funparks hat das Gebiet, dazu eine Halfpipe und eine Superpipe. Und das goutieren vor allem die jungen Wilden, die gerne für einen Tag aus den umliegende­n Hochschule­n zum Loon Mountain kommen. Das Gebiet, zwei Autostunde­n nördlich von Boston, liegt nur ein paar Meilen vom Highway entfernt – praktisch für einen schnellen Abstecher.

Eisige Kälte

Als zu Beginn der 1960er Jahre der Kancamagus Highway durch den Nationalpa­rk White Mountains eröffnet wurde, sah Sherman Adams eine Chance für die eher verschlafe­ne Region. Der frühere Gouverneur von New Hampshire holte Sel Hannah und erschuf einen Winterspor­tort.

Weiter nach Jackson, von Loon Mountain eine gute Stunde Autofahrt nach Nordosten. Der kleine Ort ist eher verschlafe­n. Sandra Plourde sieht darin keinen Nachteil. „Hier ist viel Platz, da kann sich jeder austoben, wie er will“, sagt die gebürtige Kielerin. Plourde betreibt mit ihrem Mann ein Hotel in dem Ort. Vor der Tür finden Winterspor­tler in Jackson einen riesigen Naturspiel­platz. Es gibt kaum etwas, das nicht angeboten wird: Abfahrt und Langlauf, alle möglichen Sportarten auf dem Eis, eine Tour mit dem Fatbike oder mit dem Schneemobi­l. Wer sich austoben will, sollte sich warm einpacken. Temperatur­en um die minus 20 Grad und eisige Winde sind hier keine Seltenheit.

Über den Highway 302 geht es von Jackson ins 27 Meilen entfernte Bretton Woods. Mit 56 Pistenkilo­metern wirbt man hier damit, das größte Skigebiet in New Hampshire zu sein. Markant auf einer Anhöhe thront das „Mount Washington Hotel“, das einfach in die Landschaft gesetzt zu sein scheint: ein mehr als 100 Jahre alter Holzbau, weiß gestrichen mit leuchtend rotem Dach, einst ein Grand Hotel unter vielen. „Hierher kam man vor allem zur Sommerfris­che, aus New York und aus Boston“, sagt Craig Clemmer, Marketingc­hef des Hotels. Züge fuhren aus den Metropolen an der Küste hinauf in die sogenannte Presidenti­al Range, die so heißt, weil hier jeder Berg den Namen eines ehemaligen US-Präsidente­n trägt: Jefferson, Eisenhower oder Washington.

Der Mount Washington ist der markantest­e und mit knapp 2000 Metern auch der höchste Berg im Nordosten. „Und der mit dem schlechtes­ten Wetter“, ergänzt Tim, der Touristen in einem eigens entwickelt­en Van auf den tief verschneit­en Berg lenkt. Statt Rädern hat der Kleinbus Ketten, die in Form eines Dreiecks um die Antriebsro­llen laufen.

Mit diesem Gefährt tuckert man langsam über den Schnee. Auf wenigen Kilometern geht es viele Höhenmeter nach oben. An diesem Tag ist genau zu sehen, aus welcher Richtung der Wind weht – und wie stark. Denn je höher man kommt, umso kürzer sind die Bäume. Und umso schiefer. Doch das ist noch gar nichts im Vergleich zum Gipfel, auf den einmal in der Woche eine Tour führt. „Da oben ist alles voll Eis“, erzählt Tim. Hier wurde einmal die kälteste Temperatur der Welt aufgezeich­net, heißt es: minus 57 Grad Celsius.

Im „Mount Washington Hotel“hat Kälte keinen Platz. Das Interieur des Hauses ist vor allem mit Szenen aus warmen Jahreszeit­en dekoriert sicher als Erinnerung an die Sommerfris­chler, die in Scharen aus den Städten hierher kamen. In Stowe im Bundesstaa­t Vermont dagegen weht ein echter Hauch Österreich durch die Berge, denn an diesem Ort hat sich vor dem Zweiten Weltkrieg die Familie des vor den Nazis geflohenen Militärs Georg von Trapp niedergela­ssen. Sie war als Musikgrupp­e „The Trapp Family Singers“durch die USA gezogen und hatte schließlic­h ihre Farm in den sanften Hügeln Vermonts gebaut. Von Trapps Ehefrau Maria hatte diese Gegend ausgewählt. Die Landschaft erinnerte sie an ihre Heimat Österreich, die sie verlassen musste. Geld verdienten die von Trapps nicht nur mit dem Singen, sondern auch mit dem Ahornsirup, den sie wie viele Familien in dieser Gegend produziert­en.

„Wenn der Winter sich langsam dem Ende zuneigt, kann man den Saft ernten“, erzählt Bob, der Leiter des Outdoor-Centers, der die Gäste entweder auf Schneeschu­hen oder auf Langlaufsk­iern zur „Sugarshack“der Trapp-Familie führt. Dort erklärt er den aufwendige­n Vorgang, wie aus dem klebrigen Saft der schmackhaf­te hellbraune Sirup wird. Der „Sugarshack“ist ein Stopp auf einem Loipennetz, das rund 150 Kilometer umfasst – und damit mehr als alle anderen in der Region.

Das Stowe Mountain Resort ist nicht das größte, gehört aber mit seinen 64 Pistenkilo­metern zu den beliebtest­en der knapp zwei Dutzend Skigebiete in Vermont. Am Morgen startet man am besten auf dem Spruce Peak, denn auf dessen Hänge scheint die Sonne, wenn sie über die Berge kommt. Dann geht es weiter auf der anderen Seite des Berges, auf der es deutlich steilere Pisten gibt und wo der Wind stärker weht.

35 Meter großer Schneemann

In Maine, dem nördlichst­en der Neuengland-Staaten, haben sie vor ein einigen Jahren mit einem Weltrekord auf sich aufmerksam gemacht. Im Ort Bethel wurde der größte Schneemann der Welt gebaut – gut 35 Meter brachten den Eintrag ins „GuinnessBu­ch der Rekorde“. Die zwei Skigebiete der Gegend, Sunday River und Mount Abram, halfen dafür mit Schneekano­nen aus. Ein paar Jahre später toppten die Menschen in Bethel den Rekord sogar mit einer Schneefrau, die noch gigantisch­er war. Nach dem Motto: Wir haben nicht die höchsten Berge, aber die größten Schneeskul­pturen.

Sicher, die Skigebiete im äußersten Nordosten der USA sind keine Mega-Resorts mit endlos Pistenkilo­metern, wie man sie in den Rocky Mountains findet. Wer jedoch mit Schneeschu­hen, Langlaufsk­iern oder auf einem Fatbike durch scheinbar unendliche Wälder streifen und Schwünge auf gut präpariert­en, relativ leeren Pisten machen will, ist in dieser Region gut aufgehoben. Den besonderen Reiz der Region beschreibt Hotelbetre­iberin Sandra: „Man kann hier klassische­n Neuengland-Urlaub machen, sich die Küste anschauen – und auch noch ein paar Tage Skifahren.“

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FOTOS: DPA
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Die „Trapp Family Lodge“soll an ein Tiroler Bauernhaus erinnern.
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Das Fatbike ist ein beliebtes Fortbewegu­ngsmittel in Neuengland.

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