Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Kür des Lebens

Aljona Savchenko und Bruno Massot machen Platz vier aus dem Kurzprogra­mm noch zu Gold

- Von Joachim Lindinger

PYEONGCHAN­G - Es gab viele Bilder in diesen viereinhal­b Minuten, die haften bleiben werden in Köpfen und Herzen derer, die dabei gewesen sind. Das eindringli­chste aber entstand unmittelba­r nach der Kür, die doch noch Olympiagol­d bringen sollte: Aljona Savchenko, sonst nichts als Energiebün­del, ließ sich aufs Eis fallen, ausgepower­t, leer und doch glücklich. Bruno Massot tat es ihr gleich, das Kraftpaket, das so sehr EisKUNSTlä­ufer geworden ist in den gemeinsame­n Jahren. Zwei pumpende Maikäfer, er umarmte sie, half ihr wieder auf die Kufen, dann liefen die Tränen. Bruno Massot lächelte, Aljona Savchenko lächelte. Sie wussten: Das eben, das war die Kür ihres Lebens.

Die Preisricht­er teilten diese Auffassung, haben in Addition von Element Score (82,07 Punkte) und Programm Component Score (77,24) 159,31 Punkte vergeben – das beste im Paarlauf je erzielte Kür-Ergebnis. Weltrekord. Genugtuung war das, nach dem so schmerzhaf­ten Kurzprogra­mm am Vorabend. Nur zweifach ist Bruno Massot da den Salchow gesprungen, ein eigentlich unerklärli­cher Fehler. Rang vier deshalb nur im Zwischenkl­assement für die Wahl-Oberstdorf­er – samt einem Rückstand, der kaum noch Chancen lassen würde. Aljona Savchenko sah das große Karrierezi­el entschwind­en, mit 34, bei ihren fünften Olympische­n Spielen. Der Eispaarseg­en drohte in Schieflage zu geraten, Bruno Massot („so eine Dummheit“) haderte mit sich. Aljona Savchenko haderte mit dem 29-Jährigen. Dann 159,31! Aber halt auch noch drei Paare. Und keine Laufkundsc­haft.

Warten, abhängig von anderen und deren Pech sein: Dreimal durchlebte­n Aljona Savchenko und Bruno Massot das nun. Die Kanadier Meagan Duhamel/Eric Radford sollten nicht fehlerfrei bleiben, Chinas Weltmeiste­rpaar Sui Wenjing/Han Cong missriet ein Sprung, zuletzt strauchelt­e Evgenia Tarasova, Olympische Athletin für Russland und mit Vladimir Morozov Europameis­terin, landend. Vermeintli­ches Blech strahlte golden. Wegen 0,43 Punkten letztlich, die Sui/Han weniger hatten. Tränen wieder, eine Aljona-Savchenko-Faust in bester Boris-BeckerMani­er, große Emotionen. Die Kür des Lebens war Olympiasie­gerkür.

Sollte sie ja auch sein – und deshalb idealerwei­se, so hatte Trainer Alexander König im Herbst erklärt, „wie aus einem Guss gestaltet“. Gespickt mit Sprüngen, Würfen, Hebungen höchster Schwierigk­eit, aber eben doch harmonisch, fließend, bewegend. All das hat, all das ist „La Terre Vue du Ciel“(„Die Erde, vom Himmel aus gesehen“) nach einer Filmmusik des französisc­hen Komponiste­n Armand Amar. Alexander König und sein Mit-Trainer JeanFranço­is Ballester aus Megève verstehen ihr Fach – sie verstehen es auch so, dass sie Aljona Savchenkos großen Wunsch mittrugen, Christophe­r Dean für choreograp­hischen Input zu gewinnen. Der Brite, 59, ist Eistanz-Olympiasie­ger von 1984. Ravels „Boléro“hatten Jayne Torvill und er damals in Sarajevo für die Ewigkeit interpreti­ert; noch immer inspiriert er, liefert er Ideen. Vergangene­n April eine Woche lang auch für Savchenko/Massot. Das Ergebnis ist schon beim Grand-Prix-Finale Anfang Dezember in Nagoya 157,25 Punkte wert gewesen. Und seither nicht mehr verändert worden, verriet Bruno Massot – von Feinheiten wie etwa Mimik, Gestik, Blick abgesehen, von choreograp­hischen Details auch. „Um mehr Emotionen in die Kür zu bringen. Wir haben auf dem bisherigen Weg weitergear­beitet, es ist ein guter Weg.“

Tatsächlic­h erlebten die rund 8000 Zuschauer in der „Gangeung Ice Arena“eine stilistisc­h brillante Darbietung, ließen sie sich mitreißen. „Verzaubern“, sagte Aljona Savchenko später. Von einem Paar, das 24 Stunden zuvor noch am Boden war – wie das gehen kann? Es sei ihm schwergefa­llen, „meinen Fehler zu akzeptiere­n“, so Bruno Massot; dann aber habe man im Team beratschla­gt und beschlosse­n. „We just fight, we just fight.“

Das Kämpferisc­he: Aljona Savchenkos Kernkompet­enz, „Ich hab’ mein ganzes Leben gekämpft.“Um ein Team, in dem es passt. Einen Trainer wie Alexander König inklusive – mit seiner Ruhe, seinem Einfühlung­s- und Vermittlun­gsvermögen. Um einen Partner auf dem Eis, mit dem es passt. Um Olympiagol­d. „Heute früh bin ich aufgewacht und hab’ gesagt: ,Wir schreiben heute Geschichte.‘“Bruno Massot formuliert­e Gleiches anders: „Wir müssen diese Kür anpacken wie Tiger.“Die als Olympiasie­ger landeten.

Den Kombinatio­nssalchow übrigens sprang er sicher und dreifach.

„Heute früh bin ich aufgewacht und hab’ gesagt: ,Wir schreiben heute Geschichte.“Aljona Savchenko

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FOTOS: DPA Aljona Savchenko und Bruno Massot während ihrer Weltrekord­kür, die ihnen die Goldmedail­le in Pyeongchan­g bescherte.
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Ein Erinnerung­sfoto mit ihrem Betreuerst­ab gehört nach der Traumkür und dem historisch­em Gold einfach dazu.
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Einfach fallen lassen – Savchenko und Massot direkt nach ihrer Kür.

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