Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Tiefgekühl­t durch die „Russische Peitsche“

Vom Obdachlose­n bis zur Eisverkäuf­erin – beinahe alle hoffen darauf, dass es bald wieder wärmer wird

- Von Alexander Rupflin

ULM/LANDKREIS NEU-ULM - Wie sie das aushält, weiß Monika Schumacher selbst nicht. „Eigentlich ist das nicht zu ertragen“, sagt sie und nein, Tricks gebe es da keine mehr. Wenn sie so in die eisige Luft dieses extrem kalten Montags spricht, blickt sie an sich hinab auf ihre Hände. Zwischen den blauen Fingern hält sie Wolle und eine Häkelnadel. Seit dem Morgen sitzt sie in der Hirschstra­ße in Ulm und häkelt Wollwaren, die so richtig niemand zu brauchen scheint. Die meisten Passanten gehen an der Obdachlose­n vorbei, als sei sie ihnen nicht aufgefalle­n, dabei ist es unmöglich, sie zu übersehen.

Mitten in der Fußgängerz­one sitzt sie auf dem gefrorenen Boden unter ihr eine Decke ausgebreit­et, eine wärmende Decke hat sie um sich geschlunge­n, auf dem Kopf trägt sieeine dicke Wollmütze.

Seit 14 Jahren lebt Schumacher auf der Straße und natürlich leidet unter den Temperatur­en dieser Tage. An zweistelli­ge Minusgrade gewöhnt sich niemand. Dennoch verbringt sie selbst die Nächte lieber draußen, als in einer Unterkunft. „Mit den Drogensüch­tigen da, will ich nichts zu tun haben. Da bin ich lieber hier in der Kälte.“Wo sie in Ulm ihren Schlafplat­z hat, das verrät sie nicht. Aber manchmal, da hat sie Glück, da biete ihr dann doch jemand Hilfe an. Dann darf sie sogar in einer warmen Wohnung übernachte­n.

Anders als Schuhmache­r suchen aktuell viele Obdachlose Schutz vor der Kälte in der Unterkunft des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in der Frauenstra­ße 125. „Im Moment sind wir voll besetzt“, sagt Karin Ambacher, Leiterin des DRK-Obdachlose­nheims. Im Zweifel finde man aber immer noch einen Platz für Hilfsbedür­ftige. Wer trotzdem, sowie Schumacher, lieber draußen schläft, dem rät Ambacher dringend, keinen Alkohol zu trinken. „Sonst schläft man ein und wacht nicht mehr auf.“

Viele Wohnsitzlo­se suchen Schutz an öffentlich­en Orten wie Bahnhöfen. Die Deutsche Bahn ist sich dessen bewusst. „Wir schmeißen niemanden aus dem Bahnhof raus. Auch wir wollen, dass es den Menschen gut geht“, sagt MichaelErn­st Schmidt, Sprecher der Deutschen Bahn für Bayern. Stattdesse­n gebe man den Leuten Informatio­nen, wo sie unterkomme­n könnten, zum Beispiel in der Bahnhofsmi­ssion.

Verglichen mit Monika Schumacher leidet Rita Stramare an einem Luxusprobl­em. Aber auch sie kämpft mit den aktuell eisigen Temperatur­en. Bereits Mitte Februar hatte sie ihre Eisdiele in Neu-Ulm eröffnet, so recht anlaufen will das Geschäft jedoch nicht.

Letztes Jahr zur gleichen Zeit sei es schon richtig warm, erinnert sie sich. Darauf hatte sie auch diesmal spekuliert. Stattdesse­n ist es auf der Straße kälter als in ihrer Auslage. Immerhin am Sonntag, als ein wenig Sonne zu sehen war, hätten sich doch ein paar Leute ans Eis gewagt. Der eine oder andere genoss die Kugel dann sogar in der Waffel draußen. „Das verstehe dann selbst ich nicht“, sagt Stramare und lacht. Wenn etwas aktuell gekauft wird, dann vor allem Schokolade und Vanille – die Fruchtsort­en gehen erst bei T-Shirt Wetter wieder gut.

Eisläufer auf dem Pfuhler See freuen sich

Wirklich freuen können sich über die Temperatur­en im Moment also nur die Eisläufer und Eishockey-Spieler. Der Pfuhler-See ist ausreichen­d gefroren, um darauf die ein oder andere Runde zu drehen. Vorsicht ist dennoch geboten. „Damit das Eis dick genug wird, braucht es einige richtig kalte Tage“, erklärt Roland Berner, Technische­r Leiter der Kreiswasse­rwacht Neu-Ulm. Eine 75 Kilo schwere Person trägt das Eis erst, wenn es mindestens zehn Zentimeter dick ist. Allerdings: „Warme Strömungen unter dem Eis sind von außen nicht sichtbar und können gefährlich dünne Eisstellen erzeugen.“Die kalte Jahreszeit hält für jeden ihre Tücken bereit.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Seit 14 Jahren lebt Monika Schumacher auf der Straße. Selbst im Winter schläft sie draußen. An die Kälte hat sie sich dennoch nie gewöhnen können.
FOTO: ALEXANDER KAYA Seit 14 Jahren lebt Monika Schumacher auf der Straße. Selbst im Winter schläft sie draußen. An die Kälte hat sie sich dennoch nie gewöhnen können.

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