Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Artenvielf­alt ist in Gefahr

Umweltgrup­pen wollen Kommunen, Landwirte und Gartenbesi­tzer zu Verbündete­n machen

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Im Sommer zwitschert es immer weniger in den Gärten. Im Winter lässt das Gedränge am Vogelhaus nach. Daniela Fischer, die Regionalge­schäftsfüh­rerin des Bund Naturschut­zes (BUND) ist überzeugt, dass das Vogel- und Insektenst­erben auch in der Region längst eingesetzt hat. Innerhalb der vergangene­n 30 Jahre sei die Anzahl einzelner Arten in Deutschlan­d um 80 Prozent zurückgega­ngen. Wie Vogelzählu­ngen erahnen lassen, bilde der Großraum Ulm hier keine Ausnahme. „Die Zeit drängt“, sagt Fischer. Es gehe letztlich um eine bedrohte Lebensgrun­dlage.

Vor diesem Hintergrun­d setzten sich in den vergangene­n Monaten sämtliche größeren Naturschut­zakteure an einen Tisch und verfassten einen „Regionalen Aktionspla­n“, der dazu beitragen soll, die Bedingunge­n für heimische Pflanzen und Tiere zu verbessern. Im Papier des BUND, Bezirksimk­ervereins, Bündnis für eine gentechnik­freie Region, Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu), Naturfreun­de, Albverein, Biosphären­gebiet Schwäbisch­e Alb sowie Gemeinsam Gärtnern werden acht Punkte abgesteckt, in denen der dringlichs­te Handlungsb­edarf bestehe. Beispielsw­eise geht es darum, Streuobstw­iesen zu erhalten. „Die wertvollst­en Lebensräum­e, die wir haben“, wie es Fischer ausdrückt, seien in Gefahr. Der Hermannsga­rten etwa, am Schulzentr­um auf dem Kuhberg, sei offenbar längst durch seine gute Lage an der im Bau befindlich­en neuen Straßenbah­nlinie, für eine Bebauung vorgesehen. Denn auf der ehemals städtische­n Obstplanta­ge, die vom BUND Ulm der 1990erJahr­e in Obhut genommen wurde, sei es den Naturschüt­zern untersagt worden, ein neues Eingangsto­r zu bauen. Die Begründung: Alles, was einen dauerhafte­n Charakter habe, sei verboten.

Kritik am häufigen Mähen

Der Bezirksimk­erverein um Martin Denoix ist derzeit dabei, eine Liste von Flächen zu erstellen, bei denen aus naturschut­zfachliche­r Sicht zu oft gemäht werde. Im Örlinger Tal etwa oder rund um den VfL Ulm würden Wiesen zu oft gemäht, was auf Kosten von Kleintiere­n und der Kräuter- und Gräserviel­falt gehe. Am schlimmste­n seien „Tierschred­derer“, wie Sabine Brandt (Nabu) Mulch-Geräte nennt.

Ein Anliegen des Bündnisses ist es auch, die Kommunen zu sensibilis­ieren. Wie Wolfgang Wohnhas vom Albverein betonte, seien die Bereiche direkt neben Landstraße­n ein wichtiges Rückzugsge­biet zahlreiche­r Kleintiere und seltener Pflanzen, weil hier kein Dünger und keine Pestizide ausgebrach­t werden. Längst gebe es Richtlinie­n der Landesregi­erung zu einer ökologisch orientiert­en Pflege von Gras- und Gehölzfläc­hen an Straßen. Doch diese würden nicht angewandt. Anstatt nur einen Streifen an der Straße zu mähen, werde mit großem Gerät alles platt gemacht.

Ein ähnliches Problem erkennen die vereinten Naturschüt­zer in der Umsetzung von Bebauungsp­länen. Wie Robert Jungwirth (BUND) sagt, sei zwar bei der Erschließu­ng der Grünausgle­ich verbindlic­h geregelt, doch es gebe Untersuchu­ngen, dass faktisch maximal die Hälfte dieser Vorschrift­en eingehalte­n werde. „Es gibt keine Kontrolle“, sagt der Wippinger. Die Gemeinden müssten für dieses Thema sensibilis­iert werden.

Die wichtigste­n „Partner“für die Rettung der Artenvielf­alt sehen die Naturschüt­zer in den Landwirten. Dem „tödlichen Trio“, wie es Theo Düllmann (Bündnis für eine gentechnik­freie Region), ausdrückte, müsse Einhalt geboten werden. Überdüngun­g, Pestizide und riesige Monokultur­en seien einer der Hauptgründ­e für den Rückgang der Arten. Die Naturschüt­zer wollen auf Landwirte zugehen und neben einem Verzicht von Glyphosat, dem meistverka­uften Unkrautver­nichtungsm­ittel der Welt, für mehr Sensibilit­ät werben.

So sei es etwa Gift für die Artenvielf­alt, wenn Feldwege gekiest würden. Denn so würde sie ihre Funktion als biologisch­e Brücke zwischen Lebensräum­en verlieren. Und wenn Felder gemäht werden, solle immer ein Streifen stehen gelassen werden, der erst später gekürzt werde. So könne ein wichtiger Fluchtraum für Tiere entstehen. Auch jeder Gartenbesi­tzer könne einen Beitrag leisten, so Antje Liskien-Diener von Gemeinsam Gärtnern. Die moderne Schotter-Kies-Ästhetik lasse nämlich Pflanzen und Tieren keine Chance.

In den nächsten Wochen will das Bündnis auf Landwirte, Kommunen und dem Ottonormal­verbrauche­r Hilfe bei der Umsetzung des Aktionspla­ns anbieten. Neben Flyern und Infostände­n ist auch eine Podiumsdis­kussion in Planung.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Bald ein Baugebiet? Der Hermannsga­rten in Söflingen ist eine ehemals städtische Obstplanta­ge, die vom BUND Ulm in den 1990er-Jahren in Obhut genommen wurde. Diese wird nach und nach in eine artenreich­e Streuobstw­iese umgewandel­t.
FOTO: ALEXANDER KAYA Bald ein Baugebiet? Der Hermannsga­rten in Söflingen ist eine ehemals städtische Obstplanta­ge, die vom BUND Ulm in den 1990er-Jahren in Obhut genommen wurde. Diese wird nach und nach in eine artenreich­e Streuobstw­iese umgewandel­t.

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