Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der Francis-Kioyo-Moment des HSV
Obwohl, oder vielleicht gerade deswegen, es in einem ganz anderen Leben war, kann ich mich noch ganz genau daran erinnern, was ich am 15. Mai 2004 gegen 17.15 Uhr gefühlt habe. Ich stand leidend im Münchner Olympiastadion, so, wie ich in jenem Frühjahr 2004 jedes zweite Wochenende leidend in der Nordkurve des Olympiastadions stand; rechtzeitig zum nackten und bitteren Existenzkampf der Löwen hatte ich meine zwischenzeitlich vor allem aus vereinspolitischen Gründen arg verschütt gegangene Liebe zum TSV 1860 München wiederentdeckt. Es stand 1:1 gegen Hertha BSC, als der gerade erst eingewechselte 1860-Stürmer es für eine gute Idee hielt, in der 89. Minute dieses 33. Spieltags den ersten Elfmeter seiner Karriere zu schießen. Der Ball strich links am Tor vorbei, die Löwen mussten in die Zweite Liga – die sie heute nur mit dem Fernglas erahnen können. Doch das ist eine andere Geschichte.
Francis Kioyo
Damit wären wir beim Hamburger SV. Gut möglich, dass die Fans des (Noch-)Bundesliga-Dinos diesen Samstag ihren Francis-Kioyo-Moment erlebt haben. Nur, dass ihr Francis Kioyo heißt und der HSV zwar mittlerweile seit Jahren
Filip Kostic
viel dafür tut, endlich zum ersten Mal abzusteigen, dieser aber am Ende natürlich wegen des BundesligaDinoseins des Clubs trotzdem noch einmal einschneidender wäre als der Niedergang eines – Meisterschaft 1966 hin oder her – Gelegenheitsbundesligisten wie des TSV 1860 München. Wie auch immer: Als Filip Kostic in der 62. Minute eines wahrlich grausamen Kicks gegen Mainz 05 seinen Elfmeter nicht im Tor des zugegeben die ganze Partie über überragend haltenden Debütanten
unterbrachte und auch nach 90 Minuten kein Tor gefallen war, gaben selbst Berufsoptimisten ihre Hoffnungen auf. „Ich bin von der Natur aus ein Mensch, der nicht aufgibt, wenn es rechnerisch noch möglich ist. Aber ich bin Realist genug,
Florian Müller
um zu wissen, dass wir das Spiel hätten gewinnen müssen, um im Endspurt eine Restchance zu haben“, sagte HSV-Stürmer
ein. „Aufgeben liegt nicht in meinem Naturell, aber wir brauchen schon ein kleines Wunder“, gestand auch Trainer der noch kein einziges Spiel als Trainer der Hamburger gewinnen konnte. Die Erstligazeit des Hamburger SV geht zu Ende.
Labbadia Sven Schipplock Bernd Hollerbach,
Weil sich alles auf den Niedergang des HSV kapriziert, geht der Niedergang des VfL Wolfsburg fast ein wenig unter. Doch auch bei den Niedersachsen ist die Lage nach dem 1:2 gegen Bayer Leverkusen bedrohlich. Bisher konnte der neue Trainer
seinem Ruf als Retter
Bruno
nicht gerecht werden. „Ich kenne die Mechanismen und bin vollkommen auf unsere schwierige Situation eingestellt. Wir müssen viele Dinge besser machen – und das schnell“, sagte er. Noch steht Wolfsburg als 15. zwar punktgleich mit dem 16. Mainz ganz knapp über dem Strich. Aber Labbadia musste feststellen, dass seine Schützlinge, sicherlich nicht vorsätzlich, gedanklich immer noch nicht im Abstiegskampf angekommen sind. Und das nach nur 25 Punkten aus 25 Spielen und lediglich einem Sieg aus den letzten elf Spielen! Der Coach fordert Leistung hier und jetzt: „Was irgendwann einmal war, zählt in unserer Situation nicht“, sagte er. Mittelfeldspieler Josuha Guilavogui scheint es verstanden zu haben. „Mainz, Bremen und Freiburg sind unsere direkten Konkurrenten“, sagte er.
Was zum Feiern hatten dagegen die Leverkusener. Den Sieg, aber vor allem ihren Jubilar. Stürmer
absolvierte beim 2:1 sein 400. Bundesligaspiel. Während die Wolfsburger frustriert in ihrer Kabine saßen, machten die Leverkusener Kießling zu Ehren eine kleine Fete im Kabinengang. Der zuletzt von zahlreichen Verletzungen gebeutelte 34 Jahre alte Stürmer durfte 120 Sekunden lang mithelfen, den knappen Vorsprung über die Zeit zu retten. „Ich habe da aber kein Geschenk verteilt. Stefan hat in der kurzen Zeit alle Kopfbälle gewonnen und mehrere Fouls gezogen“, sagte Trainer
Kießling Herrlich. Stefan Heiko