Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Gegossen wie gewachsen

Das Edwin-Scharff-Museum würdigt den 1927 geborenen Emil Cimiotti - Der Bildhauer ist inzwischen ein Klassiker der Moderne

- Von Marcus Golling

NEU-ULM - Die Karriere des Bildhauers Emil Cimiotti beginnt wie im Zeitraffer. 1949 nimmt er mit 22 Jahren sein Studium an der Akademie in Stuttgart auf, gut zehn Jahre später ist er schon ein internatio­nal gefeierter und wirtschaft­lich erfolgreic­her Künstler, Biennale- und DocumentaT­eilnehmer.

Für Helga Gutbrod, die Leiterin des Edwin-Scharff-Museums, ist der gebürtige Niedersach­se ein „Senkrechts­tarter“, ein „Pionier der Nachkriegs­moderne“. Doch damit werde man Cimiotti nicht gerecht: Der inzwischen 90-Jährige blickt auf sieben Jahrzehnte künstleris­chen Schaffens zurück. Dieses würdigt das Neu-Ulmer Kunstmuseu­m nun mit seiner ersten und sehr sehenswert­en Ausstellun­g nach der eineinhalb­jährigen Umbaupause.

Die 50er-Jahre haben den Ruhm des aus einfachste­n Verhältnis­sen stammenden Plastikers begründet, sie überlagern aber auch bis heute seine Wahrnehmun­g, wie die Ausstellun­gskuratori­n Christa Lichtenste­rn beklagt. Denn ein Künstler des Informel, also jener abstrakten Kunstricht­ung, die die Auflösung der Form zum Ziel hat, sei der von älteren Kollegen wie Willi Baumeister oder Constantin Brancusi geprägte Cimiotti in den späteren Jahren nicht mehr, sondern einer, der sich beständig weiterentw­ickelt hat.

Freilich sind es zunächst diese – anders als manch anderes aus der Zeit - gut gealterten frühen Bronzeplas­tiken, die im Edwin-Scharff-Museum zunächst die Blicke anziehen.

Die „Figurengru­ppe II“von 1957 etwa, die alles enthält, was die Kunst Cimiottis ausmacht: Die Formen scheinen nicht gemacht, sondern aus sich selbst gewachsen, organisch verwoben und verwuchert, die Oberfläche unbehandel­t, rau, aber auch verwundbar.

Wechselspi­el von innen und außen

Zwei Jahre später ist er mit „Der Berg und seine Wolken“schon woanders: Bei dieser Arbeit lässt sich nicht nur das reizvolle Wechselspi­el von innen und außen nachvollzi­ehen, dem die Ausstellun­g ihren von Goethe entliehene­n Titel „Denn was innen, das ist außen“verdankt. Denn (ab)geschlosse­n, voluminös ist bei Cimiotti fast nichts; seine für gewöhnlich kleinen Plastiken fordern keinen Raum, sie sind von ihm durchdrung­en.

Eine entscheide­nde Rolle spielt im Werk die Technik. Denn Cimiotti arbeitet mit einem Wachsaussc­hmelzverfa­hren, das heißt, dass er eine Vorlage aus Wachs erstellt; diese wird danach mit Schamott umhüllt, dann das Wachs ausgeschmo­lzen und Bronze in den verblieben­en Hohlraum gefüllt. Dieses Verfahren lässt, anders als andere Gusstechni­ken, nur Unikate zu, erlaubt aber auch eine filigraner­e Gestaltung und eben jene rauen, organisch wirkenden Oberfläche­n.

In den frühen Jahren seiner Karriere habe Cimiotti „die Figur gehasst“, sagt Kuratorin Lichtenste­rn, die den Bildhauer auch persönlich gut kennt. Aber in den 1970ern und 1980ern, unter dem Eindruck politische­r Themen und privater Schicksals­schläge, treten plötzlich Stillleben, Torsi und Büsten in das Werk, wobei das Gewachsene, sich in die Vertikale Stemmende seiner früheren Plastiken erhalten bleibt.

„Denn was innen, das ist außen“, entstanden in Kooperatio­n mit dem Georg-Kolbe-Museum Berlin, wirft ein Schlaglich­t auf einen Künstler, der einst ein Shooting Star war - und seinen frühen Ruhm durch beständige Wandlung und Fortentwic­klung festigte. Gefeiert werden heute vielleicht andere, doch Emil Cimiotti ist eine der großen Künstlerpe­rsönlichke­iten des 20. und 21. Jahrhunder­ts. Ein Klassiker.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Ein Blick in die Cimiotti-Ausstellun­g im Neu-Ulmer Edwin-Scharff-Museum.
FOTO: ALEXANDER KAYA Ein Blick in die Cimiotti-Ausstellun­g im Neu-Ulmer Edwin-Scharff-Museum.

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