Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Elternbeirat kritisiert Verdi: Kinder nicht in Tarifkonflikt hineinziehen
Erzieher nehmen Kinder zu „Stadtspaziergängen“mit - Kita-Schließungen sollen damit vermieden werden
ULM - Dürfen Kinder bei Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern dabei sein? Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sieht einen „Stadtspaziergang“der Erzieher entspannt. Elternvertreter sind sauer. Und die Stadt Ulm will vermitteln.
Im Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst hat die Gewerkschaft Verdi in Ulm einen Teil der Eltern gegen sich aufgebracht: Zu einem „Stadtspaziergang“, bei dem sie auf ihre Forderungen aufmerksam machen wollten, nahmen Erzieher der städtischen Kindertageseinrichtungen am Mittwoch Kinder mit. Für die Dauer der Aktion wollten sie ihre kleinen Schützlinge nicht unbeaufsichtigt lassen oder die Einrichtungen schließen.
Zwar hatten zuvor die meisten Eltern der Aktion zugestimmt, doch hatte der Gesamtelternbeirat in der Donaustadt Bedenken, dass Kinder in der Auseinandersetzung instrumentalisiert würden.
Kulturbürgermeisterin Iris Mann hatte am Dienstag nach Gesprächen mit dem Gesamtelternbeirat verfügt, dass bei den Spaziergängen nur Kinder mitgehen dürfen, deren Eltern dem zugestimmt hatten und dass die Kinder keine Werbeutensilien von Verdi tragen durften.
Mittwoch, 10 Uhr, Innenstadt Ulm: Bei schönstem Frühlingswetter ziehen in 32 städtischen Ulmer Einrichtungen Erzieherinnen sich selbst und den Kindern Mäntel an, setzen Mützen auf. Ein Spaziergang der besonderen Art steht an: „Wir bringen Bewegung in die Tarifverhandlungen“heißt das Motto, mit dem Kindergärtnerinnen im Umkreis ihrer Kitas einen „Verdi-Spaziergang“unternehmen.
Die Erzieherinnen sind mit Käppis, Westen, Trillerpfeifen, Fähnchen, Luftballons und Tarifinfos ausgestattet. Das Ziel: „Wir wollen den Forderungen nach besserer Bezahlung Ausdruck verleihen.“
Der Hintergrund: Die Gewerkschaft Verdi fordert für die rund 2,3 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen sechs Prozent mehr Geld. Betroffen sind unter anderem Erzieher, Mitarbeiter von Müllabfuhr, Straßenreinigung, Krankenhäusern und Bundespolizisten.
Warnstreiks angekündigt
Außer der prozentualen Erhöhung verlangen die Gewerkschaften einen Mindestbetrag von 200 Euro mehr pro Monat, was der Arbeitgeberverband komplett ablehnt. Nach der ersten Verhandlungsrunde hatten Verdi und der Beamtenbund dbb Warnstreiks noch vor Ostern angekündigt. Welche Bereiche oder Regionen von den Ausständen besonders betroffen sein sollen, ließen sie aber offen.
Dass Kinder bei der Aktion „Stadtspaziergang“dabei sind, ist für Nadja Thoms problematisch: „Das liegt mir schwer im Magen“, sagt die Vorsitzende des Gesamtelternbeirats in Ulm. Zwar seien die Eltern – wenn auch kurzfristig – vor der Aktion informiert worden, auch lägen Einverständniserklärungen vor. Freilich stand zuvor die Androhung des Gesamtelternbeirats, eine einstweilige Verfügung gegen die Aktion zu beantragen, im Raum. Aber Thoms befürchtet, dass die Gewerkschaft die Kinder für ihre Interessen instrumentalisieren will: „Das ist immer noch bedenklich.“Auch kritisiert die Mutter von zwei Töchtern, dass in einzelnen Kitas mit Verdi-Demonstrationsmaterial gebastelt worden sei: „Das geht nicht.“
Von Warnstreiks will Doris Fuchs bei der Ulmer Aktion nicht sprechen: „Stadtspaziergänge sind niederschwelliger“. Die Teamleiterin für Kindertagesstätten in Ulm, sie ist gleichzeitig Personalrätin und Vertrauensfrau, erinnert sich an das Jahr 2009: Im monatelangem Tarifstreit in kommunalen Kindertagesstätten und Sozialeinrichtungen hatten zehntausende Erzieherinnen und Sozialarbeiter kommunaler Kitas die Arbeit niedergelegt. Bundesweit waren viele Kitas geschlossen geblieben. Eltern liefen Sturm. Fuchs: „Es gab einen Heidenärger!“
Verweigerung im Einzelfall
Mit den „Stadtspaziergängen“seien Eltern nicht belastet, es gebe auch keine Schließung. In Einzelfällen hätten Eltern ihre Zustimmung zur Teilnahme der Kinder verweigert: „Dann sind eben Erzieher mit den Kindern in den Kitas geblieben.“Fuchs räumt ein, dass die Eltern früher hätten informiert werden sollen.
Nicht ausschließen will Fuchs, dass doch noch im Tarifkonflikt Warnstreiks oder reguläre Streiks angesetzt werden und Kitas schließen müssen: „Das kann alles noch kommen!“