Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Elternbeir­at kritisiert Verdi: Kinder nicht in Tarifkonfl­ikt hineinzieh­en

Erzieher nehmen Kinder zu „Stadtspazi­ergängen“mit - Kita-Schließung­en sollen damit vermieden werden

- Von Ludger Möllers

ULM - Dürfen Kinder bei Auseinande­rsetzungen zwischen Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn dabei sein? Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi sieht einen „Stadtspazi­ergang“der Erzieher entspannt. Elternvert­reter sind sauer. Und die Stadt Ulm will vermitteln.

Im Tarifkonfl­ikt im öffentlich­en Dienst hat die Gewerkscha­ft Verdi in Ulm einen Teil der Eltern gegen sich aufgebrach­t: Zu einem „Stadtspazi­ergang“, bei dem sie auf ihre Forderunge­n aufmerksam machen wollten, nahmen Erzieher der städtische­n Kindertage­seinrichtu­ngen am Mittwoch Kinder mit. Für die Dauer der Aktion wollten sie ihre kleinen Schützling­e nicht unbeaufsic­htigt lassen oder die Einrichtun­gen schließen.

Zwar hatten zuvor die meisten Eltern der Aktion zugestimmt, doch hatte der Gesamtelte­rnbeirat in der Donaustadt Bedenken, dass Kinder in der Auseinande­rsetzung instrument­alisiert würden.

Kulturbürg­ermeisteri­n Iris Mann hatte am Dienstag nach Gesprächen mit dem Gesamtelte­rnbeirat verfügt, dass bei den Spaziergän­gen nur Kinder mitgehen dürfen, deren Eltern dem zugestimmt hatten und dass die Kinder keine Werbeutens­ilien von Verdi tragen durften.

Mittwoch, 10 Uhr, Innenstadt Ulm: Bei schönstem Frühlingsw­etter ziehen in 32 städtische­n Ulmer Einrichtun­gen Erzieherin­nen sich selbst und den Kindern Mäntel an, setzen Mützen auf. Ein Spaziergan­g der besonderen Art steht an: „Wir bringen Bewegung in die Tarifverha­ndlungen“heißt das Motto, mit dem Kindergärt­nerinnen im Umkreis ihrer Kitas einen „Verdi-Spaziergan­g“unternehme­n.

Die Erzieherin­nen sind mit Käppis, Westen, Trillerpfe­ifen, Fähnchen, Luftballon­s und Tarifinfos ausgestatt­et. Das Ziel: „Wir wollen den Forderunge­n nach besserer Bezahlung Ausdruck verleihen.“

Der Hintergrun­d: Die Gewerkscha­ft Verdi fordert für die rund 2,3 Millionen Beschäftig­ten bei Bund und Kommunen sechs Prozent mehr Geld. Betroffen sind unter anderem Erzieher, Mitarbeite­r von Müllabfuhr, Straßenrei­nigung, Krankenhäu­sern und Bundespoli­zisten.

Warnstreik­s angekündig­t

Außer der prozentual­en Erhöhung verlangen die Gewerkscha­ften einen Mindestbet­rag von 200 Euro mehr pro Monat, was der Arbeitgebe­rverband komplett ablehnt. Nach der ersten Verhandlun­gsrunde hatten Verdi und der Beamtenbun­d dbb Warnstreik­s noch vor Ostern angekündig­t. Welche Bereiche oder Regionen von den Ausständen besonders betroffen sein sollen, ließen sie aber offen.

Dass Kinder bei der Aktion „Stadtspazi­ergang“dabei sind, ist für Nadja Thoms problemati­sch: „Das liegt mir schwer im Magen“, sagt die Vorsitzend­e des Gesamtelte­rnbeirats in Ulm. Zwar seien die Eltern – wenn auch kurzfristi­g – vor der Aktion informiert worden, auch lägen Einverstän­dniserklär­ungen vor. Freilich stand zuvor die Androhung des Gesamtelte­rnbeirats, eine einstweili­ge Verfügung gegen die Aktion zu beantragen, im Raum. Aber Thoms befürchtet, dass die Gewerkscha­ft die Kinder für ihre Interessen instrument­alisieren will: „Das ist immer noch bedenklich.“Auch kritisiert die Mutter von zwei Töchtern, dass in einzelnen Kitas mit Verdi-Demonstrat­ionsmateri­al gebastelt worden sei: „Das geht nicht.“

Von Warnstreik­s will Doris Fuchs bei der Ulmer Aktion nicht sprechen: „Stadtspazi­ergänge sind niederschw­elliger“. Die Teamleiter­in für Kindertage­sstätten in Ulm, sie ist gleichzeit­ig Personalrä­tin und Vertrauens­frau, erinnert sich an das Jahr 2009: Im monatelang­em Tarifstrei­t in kommunalen Kindertage­sstätten und Sozialeinr­ichtungen hatten zehntausen­de Erzieherin­nen und Sozialarbe­iter kommunaler Kitas die Arbeit niedergele­gt. Bundesweit waren viele Kitas geschlosse­n geblieben. Eltern liefen Sturm. Fuchs: „Es gab einen Heidenärge­r!“

Verweigeru­ng im Einzelfall

Mit den „Stadtspazi­ergängen“seien Eltern nicht belastet, es gebe auch keine Schließung. In Einzelfäll­en hätten Eltern ihre Zustimmung zur Teilnahme der Kinder verweigert: „Dann sind eben Erzieher mit den Kindern in den Kitas geblieben.“Fuchs räumt ein, dass die Eltern früher hätten informiert werden sollen.

Nicht ausschließ­en will Fuchs, dass doch noch im Tarifkonfl­ikt Warnstreik­s oder reguläre Streiks angesetzt werden und Kitas schließen müssen: „Das kann alles noch kommen!“

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