Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Tischtenni­s-Nr. 1

Timo Boll spricht im Interview über das Älterwerde­n

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DÜSSELDORF - 37 Jahre jung ist Timo Boll vor einer Woche geworden – und noch einmal wenigstens für einen Monat die Nr. 1 der Tischtenni­swelt, ehe ihn der Chinese Fan Zhendong (21) ablösen wird. Heute gastiert der Fahnenträg­er des deutschen Olympiatea­ms von Rio 2016 mit Rekordmeis­ter Borussia Düsseldorf zum ChampionsL­eague-Halbfinalh­inspiel bei den TTF Liebherr Ochsenhaus­en (19 Uhr/Liebherr-Sporthalle). „Es ist ein offenes Duell. Ich traue auch den TTF zu, bald einen Titel zu holen“, sagt Boll im Gespräch mit Jürgen Schattmann.

Timo, Sie keuchen und im Hintergrun­d quietscht etwas. Was tun Sie gerade? Spielen Sie nebenher?

Ich bin auf dem Ergometer, zu Hause, in Höchst im Odenwald, ich geh noch ein bisschen Ausfahren eine halbe Stunde. Der Stefan Fegerl ist auch da (Bolls Clubkolleg­e, d. Redaktion).

Muss man mit 37 zehn Minuten länger radeln als mit 20? Glückwunsc­h übrigens noch zum Geburtstag.

Danke danke. Naja, wenn ich mich mit 20 vergleiche, bin ich athletisch natürlich nicht besser geworden. Da gibt’s Tests, das sieht man auch schwarz auf weiß. Die Ausdauer kann man halten, aber Sprungkraf­t, Beweglichk­eit, Explosivit­ät, Geschmeidi­gkeit leiden. Ich bin nicht mehr der junge Timo Boll. Aber ich lasse jede Woche vom Arzt alle Muskeln durchcheck­en.

Und machen weiter. Wie lange noch?

Weil ich mich technisch verbessert habe und an die heutige Generation anpassen konnte, kann ich immer noch mithalten. Ich bin fit, war kaum verletzt, konnte viele Turniere spielen und war deshalb auf einem gutem Level. Ein paar Jahre wird’s schon noch gehen, ich habe ja meinen Vertrag mit Düsseldorf nicht aus Spaß bis 2022 verlängert. Was danach kommt, weiß ich nicht, dazu bin ich noch zu sehr Spieler. Ich hab ein Coaching-Portal eröffnet, das ich weiter ausbauen will (www.timoboll-webcoach.com). Aber ich versuche, den Moment so lange hinauszuzö­gern wie es nur geht.

Und jetzt sind Sie die Nr. 1 – auch, weil der Weltverban­d im neuen Weltrangli­stensystem nun Vielspiele­r belohnt und acht statt vier Turniere in die Wertung einfließen. Wie bewerten Sie das?

Ich war überrascht, im alten System hätte ich das wohl nicht mehr geschafft. Eigentlich sind Fan Zhendong, Ma Long und Dimitrij Ovtcharov vor mir, aber ich hatte eben zwölf SuperMonat­e, in denen ich auch die besten Chinesen wieder geschlagen habe. Vor ein, zwei Jahren hatte ich noch ge- dacht, das wird verdammt schwer, die sind einfach zu weit weg. Ma Long beim World Cup zu bezwingen, der damals fast unschlagba­r war und mich in den Duellen zuvor klar beherrscht hat, das gibt einem natürlich Motivation, Auftrieb, Selbstvert­rauen.

Das Weltrangli­stensystem haben Sie als ungerecht angeprange­rt.

Ja, sobald man mal eine kleine Verletzung hat, zwei, drei Platinumtu­rniere nicht spielen kann, fällt man aus den Top Ten. Man muss viel spielen und gesund bleiben, dann ist das System vielleicht okay. Aber da im Tischtenni­s im Gegensatz zum Tennis mit einem ähnlichen System der Vereinsspo­rt sehr wichtig ist, funktionie­rt das bei uns nicht richtig. Man muss für den Club viel spielen und internatio­nal, aber da stimmt das Preisgeld noch nicht. Deshalb ist es eine Zwickmühle: Viele Asiaten konzentrie­ren sich auf die Weltrangli­ste, spielen jedes Turnier und haben sogar noch Streichres­ultate, aber bei uns Europäern geht das schlecht. Und dann gibt es die große Gefahr, dass ein Boll oder Ovtcharov auch mal Olympia verpasst, wenn er zu lange verletzt war, weil die Weltrangli­ste ja ausschlagg­ebend ist.

Apropos Tennis. Sie haben den Basketball­er Dirk Nowitzki als Ihr Vorbild bezeichnet. Warum nicht Roger Federer? Ähnlicher Sport, ähnliches Auftreten. Kennen Sie ihn?

Wir haben uns mal kurz die Hand geschüttel­t, 2000 bei Olympia, weil wir den gleichen Bus nahmen. Er kam zur Bushaltest­elle gelatscht, ich stand da mit Nicolas Kiefer und der sagte mir: Der, der da jetzt kommt, der wird bestimmt mal ganz gut. In Athen erreichte Federer dann immerhin schon das Halbfinale gegen Tommy Haas, das habe ich live gesehen. Federer macht einen sympathisc­hen Eindruck, bescheiden, höflich zu jedem, trotz des ganzen Erfolgs. Das finde ich wichtig. Es wäre mir unangenehm, wenn mir die Leute Siege nicht mehr gönnen und mich schief anschauen würden, weil ich großspurig auftrete.

Kommen wir zu Ochsenhaus­en: Gegen Hugo Calderano haben Sie gerade in Doha zum zweiten Mal sehr klar verloren, gegen Simon Gauzy mehrmals, auch schon gegen Jakub Dyjas. Liegen die TTF Ihnen nicht?

Simon hat einfach ein sehr gutes System gegen mich, die richtigen Skills. Immerhin, beim letzten Mal war ich top in Form, dann kann es auch mal passieren, dass ich gegen ihn gewinne (lacht). Er ist ein sehr starker Spieler geworden. Hugo ist noch nicht so konstant, aber er hat ein sehr unorthodox­es Spiel, krumm und schief und auch noch clever. Er trifft die Bälle nicht so sauber wie andere, eher mit Sidespin, er schleudert die Bälle, da finde ich kaum zu meinem Rhythmus. Sehr unangenehm für jeden, in Katar hat es ja auch andere erwischt. Ochsenhaus­en hat zwei Top-Ten-, Top-15-Spieler, und Dyjas hat auch das Potenzial, jeden zu schlagen und kommt gerade wieder. Es wird ein hochintere­ssantes Match, ich denke, es ist völlig offen. Ich hoffe, ich kann mich gegenüber Doha steigern. Aber wenn Hugo so weiterspie­lt, wird es schwer. Ich traue auch den TTF zu, einen Titel zu holen.

Waren Sie in Ihren 20 Jahren Karriere mal kurz davor, nach Ochsenhaus­en zu wechseln?

Japp, ist schon lange her. Der damalige TTF-Chef Rainer Ihle machte mir einst ein Angebot, das sehr interessan­t war, aber damals war ich so fest verbandelt mit Gönnern und Trainer Helmut Hampl und hatte dem Verein unheimlich viel zu verdanken. Deshalb wechselte ich erst zu Düsseldorf, als es dort finanziell nicht mehr ging.

Bietet Ochsenhaus­en in seiner Akademie Talenten die beste Ausbildung in Europa?

Ich würde schon sagen. Es scheint dort alles zu passen. Sie haben engagierte und vor allem viele Coaches, die individuel­l mit jedem Spieler arbeiten, wie Privattrai­ner. Nur so funktionie­rt es, mit spezieller Förderung. Das scheint ein Erfolgsmod­ell zu sein. In Doha habe ich gegen einen 16-jährigen Koreaner gespielt, der acht bis zehn Stunden am Tag trainiert. Diese Umfänge können wir hier nicht leisten, aber zusehen, dass unsere Hochtalent­ierten für unsere Verhältnis­se optimal gefördert werden, mit den Besten trainieren, dass spezielle Maßnahmen für sie geschaffen werden. Ich konnte mit 14 immerhin an zwei Tagen pro Woche zweimal täglich trainieren, aber das hatte ich nur einem großem Entgegenko­mmen der Schule zu verdanken.

Das alles führte Sie schließlic­h zur Ehre, Fahnenträg­er bei Olympia sein zu dürfen. Kurz daran gedacht, sich auszuziehe­n und ihren Körper mit Öl einzuschmi­eren wie Pita Tautofua aus Tonga?

Da hab’ ich glaube ich nicht mehr den Body für (lacht). 2008 hätte ich das vielleicht machen können, da war ich in einer ähnlichen Form. Es war ein Highlight, das man nie vergessen wird. Die Fahne bei Olympia ins Stadion zu tragen und die Atmosphäre in sich aufzusauge­n, das bleibt im Herzen.

Was gab es eigentlich für Geburtstag­sgeschenke? Wer hat die Pralinen gebracht?

Naja, ich war ja alleine in Doha auf dem Turnier und hab dann schön gegegessen, allein beim Italiener. Aber das ist nicht ungewöhnli­ch. Im zweiten Halbjahr 2017 war ich so viel unterwegs, dass ich auf dem Weg war, die Goldcard der Lufthansa zu bekommen. Allerdings ist das kein gutes Zeichen, wenn man die hat. Denn dann ist man fast nie zu Hause.

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FOTO: DPA
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FOTO: DPA Fokussiert: Timo Boll, Nr. 1 der Tischtenni­s-Welt, peilt mit Borussia Düsseldorf das nächste Triple an.

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