Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Landesamt verrechnet sich um Millionen

Behörde führte mal zu wenig, mal zu viel Lohnsteuer­n ab

- Von Katja Korf

STUTTGART - Das Land BadenWürtt­emberg hat zu wenig Lohnsteuer für Beamte und Angestellt­e gezahlt. Zwischen 2000 und 2008 entrichtet­e das Landesamt für Besoldung (LBV) rund 141 Millionen Euro zu wenig an die Finanzämte­r. Das teilte Finanzmini­ster Edith Sitzmann (Grüne) am Donnerstag mit. Darüber hinaus wurden weitere Fehler im LBV bekannt.

Auf die Spur der Fehler kam das Finanzmini­sterium 2017. Das Land hatte begonnen, seine Vermögensw­erte zu erheben – also beispielsw­eise Kunstwerke, Gebäude, Straßen.

Dabei stießen die Fachleute auf Unstimmigk­eiten im Landesamt für Besoldung und forderten einen Prüfberich­t an. Darin meldete die Behörde kurz vor Weihnachte­n 2017 das erste Versäumnis: Nach ihren Prüfungen hatte die dafür zuständige Abteilung etwa 90 Millionen Euro Lohnsteuer zu viel gezahlt. Die Beträge werden automatisc­h an das Finanzamt abgeführt. Mitarbeite­r des LBV veranlasst­en wohl aus Versehen manuell, dass dieselbe Summe noch einmal floss.

Daraufhin leitete Finanzmini­sterin Edith Sitzmann weitere Prüfungen ein. Fünf Fachleute nahmen das LBV unter die Lupe. Sie stießen auf zahlreiche Versäumnis­se.

Verdacht der Untreue

So stellte sich heraus, dass sogar 95,7 Millionen Euro zu viel Steuern flossen. Davon konnte das Land mittlerwei­le etwa 40 Millionen Euro zurückford­ern. Doch bei weiteren knapp 56 Millionen Euro ist fraglich, ob das gelingt. Juristisch ist der Anspruch darauf erloschen.

Besonders heikel: Als im LBV ein Personalwe­chsel anstand, wurden die Versäumnis­se 2013 entdeckt. Doch statt den Fehler weiter zu melden und das zu viel gezahlte Geld zurückzufo­rdern, geschah nichts. Deswegen hat das Finanzmini­sterium den Fall der Staatsanwa­ltschaft übergeben. Diese entscheide­t nun, ob sie gegen LBV-Mitarbeite­r wegen Untreue ermitteln wird.

Doch damit nicht genug. In den Jahren 2006 und 2007 überwies das LBV zu wenig Lohnsteuer­n an die Finanzämte­r. Jeweils im Januar zahlte das Amt 20 Millionen Euro zu wenig aus. Die Prüfer rechnen damit, dass dies auch in den fünf Jahren davor geschah – weitere 100 Millionen Euro blieben zu Unrecht in den Landeskass­en, die eigentlich dem Finanzamt gehören.

Die Lohnsteuer geht zunächst an den Bund, der sie wiederum verteilt – für Ausgaben in Bund, Ländern und Gemeinden. Damit hat das Land 140 Millionen Euro in seinen Etats, die ihm eigentlich nicht zustehen. Doch die Finanzämte­r können die Summe nicht zurückford­ern, weil die Ansprüche verjährt sind. Gesetzlich kann das Land das Geld auch nachträgli­ch nicht abgeben: Juristisch betrachtet würde es damit zum Nachteil Baden-Württember­gs handeln. Das darf es aber nicht.

Das Finanzmini­sterium will bis zu den Sommerferi­en die Überprüfun­g des LBV abschließe­n. „Wir werden auf dieser Basis organisato­risch alles Nötige in die Wege leite, um falsche Zahlungen für die Zukunft auszuschli­eßen“, versprach Sitzmann. Nach ersten Erkenntnis­sen sei offenbar das vorgeschri­ebene Vier-Augen-Prinzip im LBV verletzt worden. Außerdem hätten die Fehler beim Jahresabsc­hluss auffallen müssen. Derzeit deutet laut Finanzmini­sterium nichts darauf hin, dass der Skandal Sitzmanns Amtsvorgän­gern bekannt war. Auch die Leitung des LBV habe wohl nichts gewusst.

Konsequenz­en gefordert

Eine weitere brisante Frage betrifft die Finanzbehö­rden. Offenbar prüften diese das LBV 2008, 2012 und 2017. Dabei bemängelte­n die Kontrolleu­re stets, dass sie keinen vollständi­gen Zugriff auf die Daten des LBV bekamen – doch es geschah nichts. Dazu sagte der FDP-Abgeordnet­e Andreas Glück: „Es bleiben Fragen offen, etwa ob bei Außenprüfu­ngen durch die Finanzämte­r nicht zu nachsichti­g mit den offensicht­lichen Organisati­onsfehlern im LBV umgegangen wurde.“Mit Privatunte­rnehmen werde wohl nicht so großzügig verfahren.

Ebenso wie die SPD lobte der Liberale die Aufklärung­sarbeit des Ministeriu­ms. Der SPD-Abgeordnet­e Peter Hofelich, von 2015 bis 2016 Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium, forderte zügige Konsequenz­en: „Wir sind über das Stadium von Einzelfehl­ern hinaus und müssen davon ausgehen, dass es um systemisch­e Fehler in einem wichtigen Amt unseres Landes geht.“

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