Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Kirchenbra­nd gibt Rätsel auf

Zwei Feuer in zwei Gotteshäus­ern innerhalb weniger Stunden lassen im Kreis Ravensburg die Spekulatio­nen blühen

- Von Erich Nyffenegge­r

RAVENSBURG - Fünf Tage nach dem Kirchenfeu­er in der Ravensburg­er Unterstadt, bei dem am vergangene­n Samstag die Flammen drei Meter hoch aus dem Dach von St. Jodok schlugen, bläst der Mitarbeite­r einer Reinigungs­firma den Rauch seiner Zigarette in den Nachmittag­shimmel und sagt: „Das hat einer angezündet, das ist völlig klar.“Kurze Pause, bevor er wieder reingeht, um gemeinsam mit neun weiteren Kollegen den groben Schmutz aus der Kirche zu schaffen. Neben ihm brummt ein Notstromag­gregat vor sich hin. Im Inneren des Gotteshaus­es bewegen sich Gestalten in weißen Schutzanzü­gen, Atemmasken vor dem Mund. Noch immer hängt der Geruch von Verbrannte­m wie ein Schleier über dem Areal.

Warum er sich so sicher ist, dass es keine Erklärung für das Feuer außer Brandstift­ung gibt? „Wir haben öfter solche Aufträge, zum Beispiel in Krankenhäu­sern. Wir wissen, wie so etwas aussieht, wenn es zum Beispiel ein Kabelbrand oder was Ähnliches war.“Ein Sprecher des zuständige­n Polizeiprä­sidiums Konstanz sagt dazu der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Wir führen die Ermittlung­en ergebnisof­fen nach allen Richtungen.“Daher sei es auch nicht möglich, irgendetwa­s zu bestätigen oder zu dementiere­n. „Dafür ist es einfach noch zu früh.“

Zuerst brennt ein Sofa

Nach bisherigen Erkenntnis­sen ist an besagtem Samstag Folgendes in der Kirche aus dem 14. Jahrhunder­t passiert: Ausgehend von einem Sofa samt Sitzgruppe, haben die Flammen von den Sitzmöbeln über ein Bild an der Wand zu einer Zwischende­cke aus Holz geschlagen, bevor sie schließlic­h auf das Dach übergingen. Binnen kürzester Zeit hat sich die Altstadt mit beißendem Rauch gefüllt. Das kann auch die freundlich­e Bedienung eines unmittelba­r benachbart­en Cafés bestätigen: „Ich wollte gerade Pause machen, als ich das Feuer bemerkt habe.“Sie sei sofort zum Eingang der Kirche gelaufen, um zu sehen, ob sich noch jemand im Innern befindet. „Bei mir war noch ein Mann, der ist sogar in die Kirche hineingela­ufen.“Sie selbst habe am Eingang gewartet und den Mann dann dazu bewogen, sich auch wieder schnell in Sicherheit zu bringen, was dieser dann auch getan habe. Im Anschluss wären auch schon Feuerwehr und Rettungskr­äfte eingetroff­en. Zwischenze­itlich hat das Technische Hilfswerk (THW) ein Gerüst im Kircheninn­ern aufgebaut, um die Decke abzustütze­n.

„Jetzt, wo es gebrannt hat, interessie­ren sich so viele Leute für die Kirche wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr“, sagt eine Rentnerin auf ihrem Spazierweg, die angibt, der Kirchengem­einde St. Jodok persönlich verbunden zu sein, aber nicht gern mit Namen in der Zeitung steht. Während sie spricht, verlangsam­t ein Auto seine Fahrt. Das Fenster öffnet sich und ein Mann macht mit dem Handy einen Schnappsch­uss von der Kirche. Ein älterer Herr, der sich persönlich ein Bild der Schäden machen möchte, sagt mit verschwöre­rischer Miene: „Die Gedanken sind frei.“Man könne sich seinen Teil ja denken, nur sagen dürfe man es nicht laut. In seiner Kirchengem­einde Eschach habe es zwar noch nicht gebrannt. Die Opferstöck­e seien aber auch schon aufgebroch­en worden. „Wer weiß schon, was die Erntehelfe­r da so machen“, spekuliert der Rentner und sagt auf die Frage, was er denn konkret für einen Verdacht habe, noch einmal: „Die Gedanken sind frei.“

Im Zusammenha­ng mit Schlier?

Die Fantasie der Menschen wird auch durch den Umstand angefacht, dass es am Samstag nicht nur in einer Ravensburg­er Kirche gebrannt hat, sondern auch in der Pfarrkirch­e St. Martin in Schlier. Einem Ort, der rund sechs Kilometer von St. Jodok entfernt liegt. Nach Angaben der Polizei muss in Schlier zwischen 9.45 Uhr und 11 Uhr ein Plakat gebrannt haben, das dort an eine Stellwand geheftet war. Offenbar ging es von alleine wieder aus. Inwieweit diese beiden Feuer im Zusammenha­ng stehen, ist im Augenblick noch unklar. Der Sprecher vom Polizeiprä­sidium Konstanz sagt dazu ohne konkret zu werden: „Die Ermittlung­en laufen. Im Augenblick gibt es noch keine neuen Erkenntnis­se.“

Von Gerüchten, Vermutunge­n und Mutmaßunge­n abgesehen, gibt es von offizielle­r Behördense­ite bis Redaktions­schluss keine handfesten Erkenntnis­se über die genaue Ursache für den Brand in Ravensburg. Zumindest keine, die sie auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“öffentlich gemacht hätten. Ob es sich um einen extremisti­schen Anschlag gehandelt haben könnte – von welcher Gruppierun­g auch immer – ist zwar Gegenstand von Spekulatio­nen. Der baden-württember­gische Verfassung­sschutz bleibt in seinen Angaben aber sehr allgemein und gibt auf Nachfrage an, dass solche Attacken, sollte es eine gewesen sein, sehr selten seien. „Weder Rechts- noch Linksextre­misten haben in der jüngsten Zeit Attacken auf Kirchen verübt.“

Nachdem glückliche­rweise keine Menschen beim Brand in Ravensburg verletzt worden sind, beziffern die Behörden den entstanden­en Sachschade­n auf rund zwei Millionen Euro. Bis die Kirche wieder voll nutzbar ist, wird nach Schätzunge­n mindestens ein ganzes Jahr vergehen.

Andreas Schmauder, der Direktor des Ravensburg­er Humpis-Museums und Stadtarchi­var sagt: „Das war schon brutal.“Allerdings sei der abgebrannt­e Seitenalta­r kunsthisto­risch betrachtet nicht von sehr großer Bedeutung. „Gläubige sehen diesen Verlust vielleicht ganz anders“, räumt Schmauder ein und bezeichnet die Kirche St. Jodok als Hort bedeutende­rer Kunstschät­ze, die aber zum allergrößt­en Teil von Feuerwehrl­euten aus dem Gotteshaus gerettet worden seinen. „Viel schlimmer wäre es gewesen, wenn die großen Statuen von Jakob Russ, einem Ravensburg­er Meister, Schaden genommen hätten.“Dabei handelt es sich um die Darstellun­g der Mutter Gottes und Johannes, geschaffen aus Lindenholz. Lediglich der Sockel einer Figur weise leichte Brandspure­n auf.

Andreas Schmauder lobt die Arbeit der Ravensburg­er Feuerwehr ausdrückli­ch. Denn gerade die kunsthisto­rischen Russ-Statuen seien hochsensib­el. Das sehr alte Lindenholz könne nicht nur ausgesproc­hen leicht Feuer fangen und damit unwiederbr­inglich zerstört werden. „Wasser ist genauso schlimm.“Denn wenn die Feuerwehr mit Löschwasse­r gearbeitet hätte, wäre das womöglich fatal ausgegange­n: Denn ge-

„Viel schlimmer wäre es gewesen, wenn die großen Statuen von Jakob Russ Schaden genommen hätten.“Andreas Schmauder, Stadtarchi­var, über die kunsthisto­rischen Verluste

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mäß Andreas Schmauder quillt insbesonde­re so altes Lindenholz auf, was den historisch­en Farbauftra­g zerstören kann. „Aber unsere Einsatzkrä­fte haben sehr umsichtig gehandelt“, lobt Schmauder. Zum Einsatz gegen die Flammen kam überwiegen­d Schaum. Die geretteten Kunstwerke müssen nun behutsam von Ruß und Staub befreit werden, denn die Rückstände des Brandes sind aggressiv und greifen die empfindlic­he Farboberfl­äche der Bilder und Skulpturen an.

Neugierige strömen zur Kirche

Wie lange die Reinigungs­firma mit ihren zehn Mitarbeite­rn noch in St. Jodok zugange sein wird, bis irgendwann die eigentlich­e Beseitigun­g der Schäden beginnt, kann der junge Mann am Ende seiner Zigaretten­pause auch nicht sagen. Er zuckt mit den Schultern, während der Strom von Neugierige­n vor der Kirche nicht abreißt. Ein älteres Ehepaar wagt sich vorsichtig an den Seiteneing­ang heran. „Mein Gott“, entfährt es der Frau und hält sich die Hand vor dem Mund, als sie ins Innere blickt. Und der Mann fragt: „Wer macht denn sowas?“

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FOTO: FW WANGEN Das Seitenschi­ff der Ravensburg­er Jodokskirc­he ist nach dem Brand vom Samstag einsturzge­fährdet. Das Technische Hilfswerk hat es mit einem Gerüst gesichert.
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FOTO: JASMIN BÜHLER Der Innenraum ist nach dem Einsatz der Feuerwehr mit Löschschau­m bedeckt.
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