Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Internationale Solidarität nach Gift-Angriff
Deutschland, Frankreich und USA stellen sich hinter May – im Gegensatz zum Labour-Chef
LONDON - Während die britische Premierministerin Theresa May als Antwort auf den Chemiewaffen-Anschlag von Salisbury den Rückhalt der westlichen Verbündeten gewinnt, ist die Labour-Opposition über ihre Haltung gegenüber Russland gespalten. Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat der Regierung die Unterstützung für deren Sanktionen gegen Moskau verweigert. Dafür wurde er von Teilen der eigenen Partei scharf kritisiert.
Die Regierungschefin hatte am Mittwoch im Unterhaus die Ausweisung von 23 als Diplomaten getarnten russischen Spionen bekannt gegeben. Die ohnehin spärlichen Kontakte mit Moskau auf Regierungsebene würden eingefroren. Auch werde ungeklärten Todesfällen russischer Exilanten auf der Insel nachgegangen. Unklar blieb hingegen, ob und in welcher Weise London gegen reiche Unterstützer des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin vorgehen will, die in London Milliardenwerte investiert haben. Russische Oligarchen und deren Familienmitglieder haben den Konservativen innerhalb der vergangenen achtzehn Monate 826 100 Pfund (932 400 Euro) gespendet.
Opfer weiter in Lebensgefahr
Am Donnerstag informierte sich May vor Ort in Salisbury über den Mordanschlag gegen Sergej und Julia Skripal. Beide schweben weiter in Lebensgefahr. Der Doppelagent, 66, und seine Tochter, 33, waren am vorvergangenen Sonntag bewusstlos auf einer Parkbank im Ortszentrum der 40 000-Einwohner-Stadt gefunden worden. Die Aufmerksamkeit der mehrere hundert Beamte starken Sonderkommission richtet sich offenbar vor allem auf das Haus und den BMW des 2010 aus Russland auf die Insel gekommenen Militärexperten.
Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson sagte auf die Frage, ob es zu einem neuen Kalten Krieg kommen könnte: „Seien wir ehrlich, die Beziehungen sind nicht gerade gut, nicht wahr?“Sollte London über die Ausweisung von Diplomaten hinaus weitere Maßnahmen ergreifen und beispielsweise russisches Staatseigentum, etwa zur Botschaft gehörende Gebäude, beschlagnahmen, dürfte auch Moskau entsprechend reagieren.
In London veröffentlichte Mays Büro eine Erklärung, die auch von den USA, Deutschland und Frankreich unterzeichnet wurde. Darin wird „die erste offensive Anwendung eines militärischen Nervenkampfstoffes seit dem zweiten Weltkrieg“als Angriff auf die Souveränität Großbritanniens sowie als Verletzung des Völkerrechts angeprangert. Man teile die britische Einschätzung, wonach Russland „mit hoher Wahrscheinlichkeit“die Verantwortung trage. Moskau müsse das Nowitschok-Prorgramm gegenüber der Organisation zum Verbot von Chemiewaffen OPCW offenlegen.
Die Solidarität der beiden größten EU-Staaten sowie des transatlantischen Verbündeten wurde von der Londoner Regierung mit Erleichterung und Genugtuung aufgenommen. Bis Mittwoch hatten sich sowohl ein Sprecher von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als auch das Weiße Haus von US-Präsident Donald Trump deutlich zurückhaltender oder widersprüchlich geäußert.
Erstmals seit der Wahl vor neun Monaten begehren gemäßigte Sozialdemokraten gegen den weit links stehenden Labour-Chef Corbyn auf. Der 68-Jährige hatte am Mittwoch im Unterhaus vermieden, Russland für den Anschlag verantwortlich zu machen; stattdessen prangerte er Kürzungen im Budget des Außenministeriums an. Dafür wurde er am Donnerstag öffentlich von seiner verteidigungspolitischen Sprecherin Nia Griffith getadelt: „Die Position des Schattenkabinetts ist eindeutig: Wir unterstützen die Regierungsmaßnahmen.“
Selbst Verbündete Corbyns, die dem britischen Patriotismus-Reflex kritisch gegenüberstehen, beklagten den Auftritt des Labour-Chefs. Dessen Sprecher Seumas Milne goss bei einem anschließenden Gespräch mit Journalisten Öl ins Feuer, indem er die Vorgänge in Salisbury mit der Kontroverse um Saddam Husseins ABC-Waffenprogramm verglich. Im Vorfeld des Irak-Kriegs 2003 hatten die Geheimdienste von Chemiewaffen gesprochen, die sich nach der Beseitigung des Diktators als nicht-existent herausstellten.