Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Das ist das dreckige Geschäft von vielen Geheimdien­sten“

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RAVENSBURG - Carlo Masala, Professor für Internatio­nale Politik an der Universitä­t der Bundeswehr in München (49, Foto: oh) hält die Anschuldig­ungen gegen Russland für plausibel. Ulrich Mendelin hat ihn befragt.

Theresa May beschuldig­t Russland des „versuchten Mordes“. Wie stark müssen die Indizien sein, bevor sie eine solche Anschuldig­ung äußert?

Es muss mehr da sein als lediglich die Herkunft des Giftes. Denn das Gift ist zwar russisch, aber man kann nie ausschließ­en, dass es gestohlen worden ist. Deshalb muss es mehr Informatio­nen geben. Ich gehe davon aus, dass die Briten feste Indizien dafür haben, dass es sich hier um einen Anschlag seitens der Russischen Föderation auf einen Dissidente­n handelt – Erkenntnis­se aus der Forensik und Geheimdien­stinformat­ionen.

Warum werden diese Erkenntnis­se nicht veröffentl­icht?

Die Briten haben sie dem Nato-Rat vorgelegt. In der Öffentlich­keit werden sie keine lückenlose Beweiskett­e vorlegen, weil das Rückschlüs­se auf die britischen Geheimdien­stquellen in Russland zulassen würde. Das würde diese Quellen in Gefahr bringen.

Auch die Bundesregi­erung beschuldig­t Russland, ebenso wie Frankreich und die USA. Kann man davon ausgehen, dass sie eigene Informatio­nen haben – oder ausschließ­lich die der Briten?

Es ist nicht auszuschli­eßen, dass andere Geheimdien­ste ebenfalls Informatio­nen zu diesem Anschlag haben. Die Wahrschein­lichkeit jedoch, dass man die britische Argumentat­ionskette für glaubwürdi­g hält, die halte ich für relativ hoch. Ansonsten würde man sich nicht zu solchen sehr eindeutige­n Aussagen versteigen.

Wenn bei einem Anschlag auf einen russischen Dissidente­n ein russisches Gift verwendet wird, scheint das eine ziemlich offensicht­liche Spur zu sein. Würde man einem Geheimdien­st nicht zutrauen, seine Spuren besser zu verwischen?

Allein die Tatsache, dass das ein russisches Nervengift ist, würde für eine Beschuldig­ung Russlands nicht ausreichen. Es muss noch mehr Erkenntnis­se geben. Was das Ermorden von politische­n Opponenten angeht, da hat Russland ja eine lange Tradition, die reicht bis ins russische Zarenreich. Eine solche Tradition haben übrigens auch andere Staaten, auch die USA. Und es ist das dreckige Geschäft von vielen Geheimdien­sten – ich sage nicht, von allen Geheimdien­sten. Von daher ist die Annahme, dass es sich hier um einen in Auftrag gegebenen Anschlag handelt, gar nicht so unwahrsche­inlich.

Es gibt aber auch Spekulatio­nen, dass es sich auch um eine Tat russischer Ex-Geheimdien­stler handeln könnte, die sich auf eigene Faust an einem Abtrünnige­n rächen wollen. Halten Sie diese Theorie für plausibel?

Es würde voraussetz­en, dass die russische Föderation ihre Geheimdien­ste nicht unter Kontrolle hat. Dafür spricht wenig. Putin gilt als jemand, der in der Lage ist, in Russland alles zu kontrollie­ren und zu manipulier­en. Und gerade in diesem Fall soll ihm das nicht möglich sein? Kann sein. Halte ich aber für unwahrsche­inlich.

Die Anti-Chemiewaff­en-Organisati­on OPCW ist weltweit für die Vernichtun­g deklariert­er Chemiewaff­enbestände zuständig. Für Russland soll dieser Prozess noch 2018 abgeschlos­sen werden. Wieso hat Moskau überhaupt noch Nowitschok?

Es gibt viele Staaten, die chemische und biologisch­e Waffen weiterhin herstellen. Russland gehört dazu. Die Chemiewaff­enorganisa­tion OPCW sagte: Alle deklariert­en Gifte sind vernichtet worden. Sie sagte nichts darüber aus, welche Gifte nicht deklariert wurden. Wir wissen, dass Russland noch über ein großes Arsenal an biologisch­en und chemischen Kampfstoff­en verfügt, und dazu zählt auch das Nervengas Nowitschok.

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