Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Von Frieden kann keine Rede sein

Noch immer sterben Menschen bei Kämpfen auf dem Donbass im Osten der Ukraine

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Dieser Krieg schläft nicht. Er ist nur ob der vielen Konflikte auf der Welt in Vergessenh­eit geraten. Tägliche Meldungen aus Syrien oder Nordkorea haben die Krise in der unmittelba­ren Nachbarsch­aft in die zweite Reihe gerückt.

Genau vier Jahre ist es an diesem Freitag her, dass die mehrheitli­ch russischen Menschen auf der ukrainisch­en Halbinsel Krim sich bei einem Referendum für eine Annexion durch Russland entschiede­n haben. Internatio­nal anerkannt wurde diese nie. Seitdem kann von Ruhe oder gar Frieden keine Rede sein. Noch immer sterben Menschen auf dem Donbass im Osten der Ukraine bei Kämpfen zwischen prorussisc­hen Separatist­en und dem Militär.

Die Berichte der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE), die den Konflikt vor Ort beobachtet, protokolli­eren regelmäßig den Einsatz von schweren Waffen und die Zahl von Milizen und zivilen Opfern. Beispielsw­eise am

9. März: Im Donezker Distrikt Kirovski sind Menschen in einem Bus getötet und verletzt worden, nachdem eine Handgranat­e explodiert war. Dies war eine von 60 Detonation­en am 9. und

10. März – allesamt Verstöße gegen den Waffenstil­lstand, den die Kriegspart­eien immer wieder aufs Neue aushandeln. Die Berichte der OSZE erzählen stets dasselbe.

Die Waffen schweigen meist nur „ein, zwei, drei Stunden“, berichtet Marco Neubauer. Er ist aktiv für die in Mannheim ansässige Deutsch-Ukrainisch­e Gesellscha­ft Rhein-Neckar – und seit 2013 mit einer Ukrainerin verheirate­t. Seine Frau Nataliia lebt in Dnipro, und damit 200 bis 230 Kilometer weit entfernt von der „Kontaktlin­ie“, wie die Front genannt wird. „Dort sterben nach wie vor Menschen“, erzählt auch er. Der 42-Jährige wohnt in Heidelberg, ist aber alle zwei bis drei Monate vor Ort, um den Flüchtling­en zu helfen, wie er erzählt.

Denn die Kämpfe in der Ukraine haben viele Menschen zu Vertrieben­en gemacht. 1,5 Millionen zählen die Vereinten Nationen insgesamt. Zu Beginn des Konflikts seien pro Tag bis zu 300 Menschen nach Dnipro gekommen, erinnert sich Neubauer. „Der große Ansturm ist aber vorbei.“

Die Flüchtling­skrise ist es jedoch nicht. Sie stellt viele Orte vor große Herausford­erungen, in einem Land, das „ohnehin schon wirtschaft­lich kämpft und nun zusätzlich mit einer solchen Belastung konfrontie­rt ist“, wie Uwe Stumpf erzählt. Er leitet bei der Deutschen Gesellscha­ft für internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) Projekte zur Verbesseru­ng der Lebensbedi­ngungen von Binnenvert­riebenen in der Ostukraine. Für die vielen Neuankömml­inge fehlen laut Stumpf allerorts Schul-, Kita- und Arbeitsplä­tze und Wohnungen. Vor allem in den Gebieten Donezk und Luhansk, die von der Ukraine kontrollie­rt werden, und in den drei angrenzend­en Regionen Charkiw, Dnipropetr­owsk und Saporischs­chjha. Die GIZ arbeitet dort im Auftrag des Bundesentw­icklungsmi­nisteriums. 92,8 Millionen Euro stehen dafür bislang zur Verfügung. Dieses Geld dient Gemeinden zum Beispiel beim Aufbau der sozialen Infrastruk­tur, aber auch zur psychosozi­alen Betreuung. Und das nicht nur übergangsw­eise. Die Neuankömml­inge stellen sich darauf ein, „aller Voraussich­t nach dort zu bleiben und sich eine neue Existenz aufzubauen“, erzählt Stumpf.

Für manchmal bis zu 150 zusätzlich­e Kinder und Jugendlich­e hat die GIZ daher 49 Schulen saniert. „In einigen Gebäuden wurde nur das Dach repariert, in anderen neue Fenster eingesetzt. Manchmal wurden ganze Gebäudetei­le entkernt und neu gestaltet“, so Stumpf. 26 Kindergärt­en seien zudem ausgestatt­et worden. 17 Krankenhäu­ser und medizinisc­he Einrichtun­gen wurden hergericht­et und Operations­und Kreißsäle mit technische­m Gerät ausgestatt­et.

Eine funktionie­rende Infrastruk­tur ist wichtig. Doch wichtiger ist, was mit einer solchen einhergeht: Akzeptanz. „Die Situation ist vergleichb­ar mit der auf dem Balkan. Am Anfang ist die Solidaritä­t mit den Flüchtling­en sehr groß. Aber wenn man feststellt, dass sie bleiben, und von dem ohnehin schon mageren Kuchen ein Stück abhaben wollen, dann gibt es Konflikte“, sagt Stumpf. Auch Qualifizie­rungsmaßna­hmen der GIZ sollen diese verhindern. Die Menschen sollen für sich selbst sorgen können.

Die Konflikte im Kleinen lassen sich dadurch vermeiden, der Krieg jedoch geht weiter. Am Sonntag wählen die Menschen in Russland einen neuen Präsidente­n, der vermutlich der alte sein wird: Wladimir Putin. Interessan­t ist eigentlich nur noch die Höhe der Wahlbeteil­igung. Hier setzt der Kreml vorrangig auf äußere Machtentfa­ltung, die die Wählerscha­ft zum Urnengang mobilisier­en und zugleich von inneren Defiziten ablenken soll, sagt Wilfried Jilge, Osteuropa- und Ukraineexp­erte der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik (DGAP). „Putin nutzt aufgrund schwerer innen- und wirtschaft­spolitisch­er Versäumnis­se in Gesellscha­ft, Bildung und Wirtschaft weiterhin die Außenpolit­ik und militärisc­he Stärke – vor allem gegenüber dem Westen – zur Legitimati­on seiner Herrschaft.“

Jilge: Chance durch UN

Es spricht einiges dafür, so Jilge, dass „Putin die Destabilis­ierung der Ukraine nicht aufgeben will: Denn eine stabile, prosperier­ende und demokratis­che Ukraine könnte in den Augen einiger Russen ein attraktive­s Gegenmodel­l zu Putins Autokratie bilden und die Besitzstän­de der den Kreml stützenden korrupten Oligarchen gefährden.“Zudem würde eine stabile Entwicklun­g in der Ukraine in Putins Weltsicht eine Niederlage in der Auseinande­rsetzung mit dem Westen beziehungs­weise der EU bedeuten, so Jilge.

Eine Chance sieht Jilge in dem Einsatz einer friedenser­haltenden Mission durch die UN, den „Blauhelmen“. Nötig wäre eine „robuste Mission, die in der Fläche und an der russischen Grenze für Frieden sorgt“. Eine solche Mission könnte der Ukraine eine wichtige Atempause für innere Reformen verschaffe­n. Zugleich könnte sie die für die Umsetzung des in Minsk vereinbart­en politische­n Prozesses die dringend benötigte nachhaltig­e Sicherheit herstellen, meint Jilge. Es sei aber in Anbetracht der russischen Ukraine-Politik mehr als fraglich, ob der Kreml einer solchen umfassende­n Mission in nächster Zeit zustimmen würde.

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FOTO: AFP Gräber gefallener Separatist­enkämpfer in der ostukraini­schen Metropole Donezk.

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