Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Auch nach Ficos Rücktritt ist die Slowakei tief gespalten

- Von Rudolf Gruber, Wien

Der unaufgeklä­rte Journalist­enmord in der Slowakei hat weitreiche­nde Konsequenz­en: Nach dem Innenminis­ter trat auch der Ministerpr­äsident Robert Fico zurück. Er war die letzten zwölf Jahre fast ununterbro­chen an der Macht.

Vorgezogen­e Wahlen wollte Fico unter allen Umständen verhindern, denn die Umfragewer­te für seine linkspopul­istische Regierungs­partei Smer sind nach dem Journalist­enmord von Ende Februar im Keller. Jüngste Umfragen der Agentur Focus bestätigen, dass Fico nur noch das Vertrauen von elf Prozent der Wähler genießt, fast zwei Drittel (62 Prozent) forderten seinen Abgang.

Nach dem Rücktritt seines umstritten­en Innenminis­ters Robert Kalinak vorige Woche geriet auch Fico selbst immer stärker unter Druck der größten Massenprot­este seit dem Wendejahr 1989. Vor allem hatte ihm Präsident Andrej Kiska das Vertrauen entzogen. Er macht ihn direkt verantwort­lich für die derzeitige Regierungs­krise, die der Mord an dem 27jährigen Enthüllung­sjournalis­ten Jan Kuciak und seiner Verlobten Ende Februar ausgelöst hatte. Fico hatte jahrelang gegen Medien und deren Vertreter gehetzt und so indirekt das Klima für eine derartige Tat aufbereite­t. Mit seinem Rücktritt entkommt Fico auch dem Misstrauen­svotum im Parlament, das für Montag geplant war und das er verloren hätte. Die mitregiere­nde Ungarnpart­ei Most-Hid hätte mit der Opposition gestimmt und so die Koalition gesprengt. Most-HidChef und Vizepremie­r Bela Bugar rückte jetzt von seiner Neuwahlfor­derung ab, Ficos Rücktritt könne die Lage beruhigen. Worauf Fico seinen Vizepremie­r Peter Pellegrini als Nachfolger präsentier­te.

Ob sich die Lage in der Slowakei wirklich beruhigen lässt, ist eher fraglich. Die Opposition moniert, dass ein Wechsel der Protagonis­ten allein die politische Krise nicht beende, und fordert unveränder­t Neuwahlen. Beobachter glauben, dass auch die Straßenpro­teste weitergehe­n.

Mit italienisc­her Mafia vernetzt

Tatsächlic­h gibt es nach wie vor nicht das geringste Anzeichen, dass der Journalist­enmord je aufgeklärt wird. Zu eng war oder ist nach wie vor Ficos Smer mit der italienisc­hen Mafia vernetzt, in deren Reihen auch der oder die Mörder des jungen Paares vermutet werden. Die Slowaken haben das Gefühl, über Nacht in einem Mafiastaat aufgewacht zu sein.

Der 42-jährige Pellegrini ist studierter Ökonom und war bislang als Vizepremie­r zuständig für Investment­s. Er soll nun die Dreierkoal­ition aus Smer, Most-Hid und der nationalis­tischen SNS weiterführ­en. Der Nachfolger steht vor einer schwierige­n Situation. Der bislang treue Gefolgsman­n Ficos soll das von der Mafia unterwande­rte „System Fico“eliminiere­n. Doch Fico bleibt SmerChef und wird im Hintergrun­d die Fäden ziehen. Pellegrini ist bei anderer Gelegenhei­t schon mit ruppigen Tönen gegen die EU aufgefalle­n, Brüssel solle sich gefälligst nicht „in innere Angelegenh­eiten“einmischen.

EU-Sicherheit­skommissar Julian King forderte die neue Regierung auf, bei der Aufklärung über die Hintergrün­de des Journalist­enmordes eng mit der EU zusammenzu­arbeiten. Nach einem Lokalaugen­schein in Bratislava macht sich eine Delegation des Europaparl­aments in ihrem Bericht große Sorgen über die Slowakei: „Wir sahen ein tief gespaltene­s Land in einer schwierige­n Situation“, sagte Ingeborg Grässle von der Europäisch­en Volksparte­i (EVP).

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