Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Familie Würth erneut bedroht
Sprachanalyse und Zeugin führen zu mutmaßlichem Entführer von Milliardärssohn
FULDA (dpa) - Fahndungserfolg bei einer der aufsehenerregendsten Entführungen in der jüngeren deutschen Kriminalgeschichte: Der mutmaßliche Lösegeld-Erpresser im Fall Würth sitzt in Gießen im Gefängnis. Ein Telefonmitschnitt seiner Stimme wurde dem mutmaßlichen Täter zum Verhängnis. Am Mittwoch wurde er in Offenbach von Spezialkräften der Polizei in seiner Wohnung überwältigt und verhaftet. Es ist ein 48 Jahre alter Serbe, der im Juni 2015 den behinderten Milliardärssohn Markus Würth verschleppt haben soll. Dieser lebte in der ländlichen Idylle des Hofguts Sassen in einer integrativen Wohngruppe in Schlitz, nahe dem osthessischen Fulda.
Weil sein Plan scheiterte, drei Millionen Euro von dem Industriellen und „Schraubenkönig“Reinhold Würth abzukassieren, soll der Tatverdächtige 2017 sogar einen erneuten Erpressungsversuch unternommen haben. Diesmal verlangte er umgerechnet 70 Millionen Euro in einer Kryptowährung, einer digitalen Zahlungsart. Er drohte damit, erneut Markus Würth (53) oder ein anderes Familienmitglied zu entführen, wie die Staatsanwaltschaft Gießen und die Polizei am Donnerstag in Fulda erklärten. Die Familie Würth gehört zu einer der reichsten in Deutschland. Reinhold Würths geschätztes Vermögen beträgt nach Angaben des US-Magazins „Forbes“14,2 Milliarden US-Dollar.
Doch zu einem erneuten Verbrechen kam es nicht. Und der vom Erpresser, einem Handwerker, hergestellte E-Mail-Kontakt brach wieder ab. Auf die Spur kamen die Ermittler dem Mann auch nicht. In seinen Mails ließ er zwar Täterwissen durchblicken, aber der Mailverkehr war verschlüsselt. Die elektronische Post nach ihrem Weg durchs Datenlabyrinth des Darknets zurückzuverfolgen, gelang nicht. Um sich hinter verschlüsselten Mails zu verstecken, müsse man nicht mal sonderlich kundig sein, erklärte Staatsanwalt Thomas Hauburger.
Verblüffende Übereinstimmungen
Zum Durchbruch kam es bei den letztlich rund 1000 Tage währenden Ermittlungen durch eine aufmerksame Zeugin aus dem Rhein-Main-Gebiet. Sie erkannte den Mann anhand des Phantombilds auf einem Fahndungsplakat im Januar wieder. Sie rief die Polizei-Hotline an, um sich seine Stimme anzuhören. Dann wurde ihr klar: Das ist der Mann, der in ihrem Haushalt schon als Handwerker tätig war. Sie alarmierte die Polizei. Die Beamten observierten den Verdächtigen – verheiratet, zwei Kinder, keine Vorstrafen – und schlugen zu, als sie sich sicher waren.
Als die Ermittler den 48-Jährigen nach der Festnahme verhörten, war der Tatverdächtige zwar gesprächig, bestritt die Tatvorwürfe aber. Im Fall einer Verurteilung muss der Mann mit einer Haftstrafe zwischen fünf und 15 Jahren rechnen. Und die Beamten erlebten „verblüffende“Übereinstimmungen zwischen dem aufgrund von Sprachanalysen erstellte Täterprofil und der Realität. Die Ermittler vermuteten, dass der Entführer zwischen 40 und 52 Jahren alt ist – der Verdächtige ist 48 Jahre alt. Sie vermuteten, dass der Mann beruflich viel Kontakt zu Menschen hat – auf einen Handwerker trifft das zu. Die Ermittler konnten sogar die Region eingrenzen, wo er auf dem Balkan vermutlich lebte und dass er wohl erst im Rhein-Main-Gebiet angekommen Deutsch lernte. Erstellt wurde das Täterprofil auf Grundlage von zwei Sprachgutachten, eines vom Bundeskriminalamt, ein anderes von der Uni Marburg.
Mittäter nicht ausgeschlossen
Aufschlussreich waren dabei auch individuelle Sprachmuster und grammatikalische Eigenarten. Ein Telefonat mit der Polizei beendete der Entführer mit den Worten: „Okay, ich trenne mich.“Diese und andere Passagen wurden den TV-Zuschauern bei der Öffentlichkeitsfahndung in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“präsentiert. Hunderte Hinweise gingen danach ein. Doch die berühmte heiße Spur war zunächst nicht dabei. Beweise erhoffen sich die Ermittler nun unter anderem durch die Auswertung des Handys und des Laptops des Festgenommenen.
Die Frau, die den entscheidenden Hinweis auf den mutmaßlichen Täter gab, kann sich im Fall einer Verurteilung Hoffnungen auf eine Belohnung machen. 30 000 Euro waren ausgelobt. Eine spannende Frage ist noch unbeantwortet: Hatte der Entführer Komplizen? Eine Allein-Täterschaft sei möglich. Dass es Mittäter gab, könne aber nicht ausgeschlossen werden, sagten die Ermittler.