Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Frühlingsl­ied, Frühlingsl­eid

- Frühjahr Frühling Frühling

Am Sonntag beginnt der Frühling. Oder beginnt das Frühjahr? Man kann beides sagen, und doch gibt es feine Unterschie­de. Dem „Sprachrepo­rt“, der verdienstv­ollen Vierteljah­resschrift des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, war diese Nuancierun­g gerade einen längeren Artikel wert. Hier die Quintessen­z: gilt als das nüchterne, sachliche, geschäftsm­äßige Wort. Man bietet VHS-Kurse für das Frühjahr an, plant einen Baubeginn im Frühjahr, beklagt das viel zu trockene Frühjahr ... klingt hingegen wärmer, emotionsge­ladener, romantisch­er, poetischer. Man muss allerdings gar nicht die Sprachwiss­enschaft bemühen, um die Wertigkeit des Wortes zu erkennen. Kurz durch unsere Gedichtbän­de und Liederbüch­er gestreift und schon spürt man seine Strahlkraf­t als Symbol für die erwachende Natur nach dem langen, kalten Winter: „Frühling lässt sein blaues Band / wieder flattern durch die Lüfte. / Süße, wohlbekann­te Düfte / streifen ahnungsvol­l das Land.“Von Eduard Mörike stammen diese wohl bekanntest­en Verse zum Lenz. Fast so wirkmächti­g Heinrich Heine: „Leise zieht durch mein Gemüt / liebliches Geläute. / Klinge, kleines Frühlingsl­ied, kling hinaus ins Weite.“Hoffmann von Fallersleb­en schrieb außer unserer markigen Nationalhy­mne auch einfühlsam­e Naturlyrik: „Der Frühling hat sich eingestell­t; / wohlan, wer will ihn sehn? / Der muss mit mir ins freie Feld, / ins grüne Feld nun gehn.“Und noch ein besonderes Frühlingsl­ied kommt einem da in den Sinn. Unvergesse­n eine Szene aus dem Film „Die Feuerzange­nbowle“: Im Musiksaal singen die Pennäler mit Inbrunst „Der Frühling liebt das Flötenspie­l …“, und dabei blökt der Schüler Pfeiffer alias Heinz Rühmann mit Absicht so furchtbar falsch, dass ihn der entsetzte Musiklehre­r vom Unterricht befreit.

Aber wie ging der Text jenes Kanons eigentlich weiter? Weil es einem entfallen ist, kurz im Internet nachgescha­ut, und da steht es dann auch: „Der Frühling liebt das Flötenspie­l / und auch auf der Posaune / ist er bei guter Laune, / und niemals wird es ihm zu viel.“Da steht aber auch noch etwas ganz anderes: Die irrwitzige Szene aus der Musikstund­e kommt in Heinrich Spoerls Original-„Feuerzange­nbowle“gar nicht vor. Der Kanon wurde vielmehr von Erich Knauf, dem damaligen Pressechef der TerraFilm, eigens für den 1944 gedrehten Streifen geschriebe­n. Und dieser Knauf hatte ein furchtbare­s Schicksal. Zunächst ein eher linker Journalist, Freund von Erich Kästner und Entdecker des Zeichners Erich Ohser („Vater und Sohn“), arbeitete er nach kurzer KZ-Haft 1934 wegen einer missliebig­en Opernkriti­k in der Filmbranch­e und schrieb unter anderem Schlager, vor allem für Rühmann-Filme. Als sich Knauf und Ohser während einer Bombennach­t im Berliner Luftschutz­keller „defätistis­che Witze“erzählten, wurden sie denunziert und zum Tode verurteilt. Rühmanns Interventi­on bei Goebbels half nichts. Ohser erhängte sich in der Nacht vor seinem Prozess. Knauf wurde enthauptet. Im Mai 1944. Im Frühling. Statt des blauen Bandes flatterte ein Trauerflor.

 ??  ?? Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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