Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Willkommen am westlichen Ende Europas

Cascais in Portugal ist ein wohlhabend­es, weltoffene­s Seebad – aber immer noch stolz, ein Fischerdor­f zu sein

- Von Ulrich Mendelin

Zwei Makrelen, zwei Geißbrasse­n, eine Dorade. Wirklich üppig ist der Fang nicht, den wir an diesem Morgen aus dem Atlantik ziehen. Aber die meisten Angler an Deck der Mar dos Navigantes sind ja auch Anfänger – anders als José Carlos Vaz. Der sonnengebr­äunte Portugiese ist vier- bis fünfmal die Woche auf See, er angelt seit seiner Kindheit. Mittlerwei­le begleitet er meist Touristen aufs Meer, so wie heute uns.

Weit fährt die Mar dos Navigantes nicht hinaus. Die Häuser von Cascais sind immer in Sichtweite, beim Auslaufen aus dem Hafen sind wir am blau-weiß gestreifte­n Leuchtturm Santa Marta vorbeigefa­hren, einem Wahrzeiche­n der Stadt, die viel darauf hält, noch immer ein Fischerdor­f zu sein – auch wenn der Tourismus in seiner gehobenen Form unverkennb­ar den Ton angibt.

Hunderte Oktopusfal­len

Cascais ist eines der führenden Seebäder in Portugal – dort, wo der Tejo, der längste Fluss des Landes, endet und der Atlantik beginnt. Die Hauptstadt Lissabon liegt nur 25 Kilometer entfernt, von dort kommen viele Sommerfris­chler ans offene Meer, und wer es sich leisten kann, zieht ganz hierher. Cascais gilt als der wohlhabend­ste Ort Portugals. Doch mitten in der Stadt, an der Praia dos Pescadores, dem Fischerstr­and, stapeln sich noch immer zu Hunderten die Oktopusfal­len, korbartige Gebinde mit einem Loch, durch das die Kraken in den Korb hinein-, aber nicht wieder herausgela­ngen können.

Auf der Mar dos Navigantes haben wir solche Fallen nicht dabei. „Dafür braucht man mehr Zeit“, erklärt José Carlos Vaz. Während er die Angel für den nächsten Versuch bereit macht, zählt er auf, was man sonst noch alles aus den Gewässern vor Cascais ziehen kann: Brassen, Dorsche, Schnapper … Nicht von ungefähr gehören die Portugiese­n zu jenen Nationen, die im weltweiten Vergleich am meisten Fisch verzehren – nur Isländer und Japaner haben einen höheren Pro-Kopf-Konsum.

Was sich daraus machen lässt, zeigt später der Koch Luis Sousa auf der Terrasse des Hotels Grande Real Villa Italia. Und zwar ganz traditione­ll mithilfe der Cataplana, einem runden Eisentopf mit fest schließend­em Deckel, der in portugiesi­schen Küstenregi­onen einst das wichtigste Kochgeschi­rr gewesen ist. Sousa mischt unseren Fang mit Miesmusche­ln und Shrimps, gibt Paprika, Knoblauch, Zwiebeln und Kartoffeln hinzu und lässt das Ganze im Sud vor sich hin köcheln, während die Gäste mit Blick auf den mittlerwei­le in der Mittagsson­ne glitzernde­n Atlantik einen Aperitif genießen.

Fluchtpunk­t für den König

Der Name des Hotels – Villa Italia – geht auf Umberto II zurück. Der letzte König Italiens verbrachte, nachdem sein Heimatland zur Republik geworden war, fast den gesamten Rest seines Lebens in Cascais. Schon vorher war die Stadt ein beliebter Zufluchtso­rt des europäisch­en Hochadels gewesen. Im zweiten Weltkrieg flohen Mitglieder unter anderem der Königsfami­lien von Spanien und Bulgarien hierher. Mit ihnen kamen auch Diplomaten und Agenten, darunter ein Mitglied des britischen Marine-Geheimdien­stes namens Ian Flemming, den ein Besuch des Casinos im benachbart­en Estoril zur Erfindung seiner berühmten Romanfigur James Bond inspiriert­e. Heute erinnert ein Museum an die Exilanten, die den Ruf von Cascais und Estoril als weltoffene, mondäne Jet-Set-Orte mit geprägt haben.

Naturpark mit Dünen und Klippen

Eine ganz andere Atmosphäre herrscht nur wenige Kilometer hinter den letzten Hotels der Stadt. Hier beginnt der Naturpark Sintra-Cascais, mit Sanddünen, rauen Klippen, grün bewaldeten Hängen und kleinen Buchten. Der wilde GuinchoStr­and gilt als ein herausrage­nder Ort zum Surfen und Kitesurfen, zum Baden ist es allerdings oft zu windig. Von hier sind es noch ein paar Kilometer zum Ende Europas: Cabo da Roca ist der westlichst­e Punkt des europäisch­en Festlands – und der Arbeitspla­tz von Fernando Medeiros Migueis. Der 44-Jährige ist Herr über den Leuchtturm, der über dem Kap thront, 140 Meter tief fällt die Steilküste hier in den Atlantik hinab. „Schiffe, die direkt aus den USA kommen, sehen als erstes das Signal von Cabo da Roca“, erklärt der Leuchtturm­wärter. Ganz früher habe man für die Lampen Olivenöl verwendet, später Gas. Seit 1999 ist das Leuchtsign­al solargetri­eben.

Vom Leuchtturm ist zwar nicht Amerika, aber immerhin die spektakulä­re Steilküste zu sehen, und weit hinten die weißen Häuser des Fischerort­es Ericeira. Meist sei es hier stürmisch, sagen Ortskundig­e. Doch heute ist der Atlantik still und der Himmel wolkenlos. Besucher ziehen vom Parkplatz zum nahen Steinkreuz am Aussichtsp­unkt. Dort kündet eine Tafel von der geografisc­hen Extremposi­tion, mit einem Zitat des portugiesi­schen Nationaldi­chters Luis de Camoes: „Hier hört das Land auf und das Meer beginnt.“Die Verse stammen aus dem Epos der „Lusiaden“, die den Entdeckerm­ut portugiesi­scher Seefahrer rühmen.

Uns aber reicht die Bootstour vom Vormittag, wir bleiben an Land und schauen zu, wie die Sonne im Atlantik versinkt. Hier, am Westende Europas, scheint der Sonnenunte­rgang ein Stückchen näher zu sein als anderswo.

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Denkmal und Leuchtturm am Cabo da Roca, dem westlichst­en Punkt des europäisch­en Festlands.
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FOTOS: ULRICH MENDELIN Das Museum Casa de Santa Maria erinnert an die Exilanten, die den Ruf von Cascais und Estoril als weltoffene Orte prägten.

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