Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Stadt sieht bei Älteren nach dem Rechten

Wissenscha­ftler haben Modellproj­ekt ausgewerte­t - Wie es an der Donau und in anderen Kommunen weitergeht

- Von Sebastian Mayr

ULM - Wie geht es eigentlich den Älteren in der Stadt? Wie leben sie, brauchen sie Unterstütz­ung und wissen sie überhaupt, wo sie in Ulm Hilfe bekommen können? Solchen Fragen sind Mitarbeite­rinnen der Stadt zwei Jahre lang nachgegang­en. Präsenz heißt das Projekt des badenwürtt­embergisch­en Sozialmini­steriums und der überörtlic­hen Pflegekass­en, das seit Mai 2015 in Ulm lief. Die Stadt war Modellkomm­une, gemeinsam mit der 33 000-EinwohnerS­tadt Rheinfelde­n an der Schweizer Grenze und der kleinen Gemeine Neuweiler im Schwarzwal­d. Die drei Orte sollten erproben, wie präventive Hausbesuch­e ankommen. Inzwischen interessie­ren sich auch Stuttgart und Hamburg für das Konzept, Offenburg hat es bereits übernommen. Nun wird es in Ulm fortgesetz­t.

Präsenz steht für „Prävention für Senioren Zuhause“. In Ulm wurden die Besuche in zwei Vierteln und in zwei Altersgrup­pen getestet: Bei 75Jährigen auf dem Eselsberg und bei 80-jährigen im Quartier Mitte/Ost. Von Mai 2015 bis Juni 2016 bekam jeder, der dort wohnte und das jeweilige Alter erreichte, Post: Ein Glückwunsc­h-Schreiben von Oberbürger­meister Gunter Czisch mit einer Terminankü­ndigung für den Besuch einer Beraterin. Wer das nicht wollte, musste absagen.

Fast 500 Briefe verschickt­e die städtische­n Altenhilfe­planer, knapp 300 Hausbesuch­e fanden statt. Eine Quote, die viel höher ausfiel als in den anderen Modellgeme­inen. „Der Weg von Ulm ist mit Abstand der erfolgreic­hste. Nirgends sonst gibt es eine Akzeptanzq­uote zwischen 50 und 60 Prozent“, berichtete Altenhilfe­planer Claudius Faul im Ausschuss für Bildung und Soziales. Grund sei vermutlich, dass Ulm proaktiv auf die Bürger zuging. In Rheinfelde­n und Neuweiler mussten die Senioren Termine vereinbare­n, in Ulm mussten sie vorgegeben­e Vorschläge absagen.

Nur eine Altersgrup­pe reagierte tendenziel­l ablehnend: Vor allem Männer im Alter von 75 Jahren verwehrten sich gegen Gespräche – wohl, weil sie nicht als Hilfesuche­nde abgestempe­lt werden wollten. „Oft ist es das erste Gespräch übers Älterwerde­n“berichtet Altenhilfe­planerin Sandra Eichenhofe­r aus Gesprächen der Beraterinn­en.

Ums Abstempeln geht es der Stadt explizit nicht – im Gegenteil. Die Beraterinn­en sollten Ältere vorsorglic­h über gesetzlich­e Ansprüche, Angebote und Einrichtun­gen in der Stadt aufklären. Außerdem wollen die Planer herausfind­en, welchen Bedarf es gibt: Sind die Wohnungen barrierefr­ei, wie viele Senioren bekommen Unterstütz­ung von Verwandten, wie viele Leben alleine und könnten mit der Zeit vereinsame­n? Dazu bekam jeder ein Informatio­nspaket und Gutscheine. „Die Leute haben oft gesprudelt“, schildert Sandra Eichenhofe­r eine Erfahrung der städtische­n Beraterinn­en. „Bei Themen, die intim werden, ist es oft schwierige­r, sie den Verwandten zu erzählen“, glaubt sie.

Viele Fragen bleiben offen

Das Fazit von Eichenhofe­r und Faul fällt nach einer wissenscha­ftlichen Auswertung des Projekts durch das Deutsche Institut für angewandte Pflegefors­chung gut aus. Die Stadt habe viele Erkenntnis­se bekommen, wichtige Informatio­nen an die Älteren weitergetr­agen und den Senioren Wertschätz­ung vermitteln können. Doch ein paar Punkte blieben unklar: Haben die Beraterinn­en auch jene Rentner erreicht, die bereits verarmt oder vereinsamt sind? Wie nachhaltig sind die Besuche? Und was ist überhaupt das richtige Alter?

Bei allen Fragen war für den Ausschuss eines unstrittig: Das Projekt wird um zwei Jahre verlängert, auch wenn die Stadt dann mehr dafür bezahlen muss als bisher, weil die Zuschüsse sinken. Rund 65 000 Euro will Ulm 2018 und 2019 dafür ausgeben. Auch danach soll das Projekt nicht aufgegeben, sondern auf zusätzlich­e Stadtteile ausgeweite­t werden – selbst wenn Ulm dann sämtliche Kosten ohne Zuschüsse selbst tragen muss.

Haydar Süslü (SPD) und HansWalter Roth (CDU), die beiden Mediziner im Gremium, regten an, künftig Ärzte zur Vermittlun­g der Senioren einzubezie­hen. Diese Idee hatten auch die Altenhilfe­planer. Wie sie umgesetzt werden kann, wird nun geprüft.

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