Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Souvenirs aus Normalista­n

Im Stadthaus sind Bilder des 1952 geborenen Martin Parr zu sehen. Der Engländer polarisier­t mit seinen Aufnahmen

- Von Marcus Golling

ULM - Man muss sich schon einiges leisten, dass man als Fotograf des Faschismus bezichtigt wird. Martin Parr hat es geschafft. Nicht etwa, weil er arische Übermensch­en präsentier­te. Im Gegenteil: Die Serie „The Last Resort“, die ihm Ende der 80er Jahre den Durchbruch bescherte, zeigte Engländer, die sich am Strand von New Brighton in der Sonne aalen, neben vollen Mülleimern futtern oder sich am schmutzige­n Tresen um die Ketchupfla­sche balgen. Ganz normale Leute, und die Normalität ist eben oft ein bisschen hässlich. Und dafür hat – wie nun auch die Ausstellun­g „Souvenir“im Stadthaus beweist – wahrschein­lich kein Fotograf einen so scharfen Blick wie Parr.

Den oben erwähnten und stark übertriebe­nen Faschismus-Vorwurf erhob der Kriegsfoto­graf Philip Jones Griffiths, als es um die Aufnahme Parrs bei Magnum Photos, der berühmtest­en Fotoagentu­r der Welt, ging. Diese wurde 1994 kontrovers diskutiert.

Denn der große Name Magnum steht für seriösen, engagierte­n Bildjourna­lismus, während der 1952 geborene Parr gerne zuspitzt, schon ästhetisch. Er blitzt seine Motive an, er zeigt grelle Farben und doof dreinblick­ende Gesichter von Menschen, die meist nicht unbedingt zur Oberschich­t gehören. Manche finden das fies oder sogar (wie Griffiths) menschenve­rachtend. Tatsächlic­h zeugen die Fotos aber von einem ungeheuren Gespür für das Abseitige im Gewöhnlich­en – und von einem ziemlich britischen Humor. Parr selbst würde jedoch sagen: Er fotografie­re die Welt so, wie er sie sieht.

Die Ausstellun­g „Souvenir – A Photograph­ic Journey“, die zuvor im Kunstfoyer der Versicheru­ngskammer München zu sehen war (wir berichtete­n), bietet einen Überblick über mehr als 30 Jahre im Schaffen des Engländers. Typisch für diesen ist das Denken in Serien, die teils jahrzehnte­lang fortgesetz­t werden. Den Auftakt im Stadthaus macht „Think of England“, ein Fotoessay über die Identität von Parrs Heimatland: ein Sammelsuri­um rotgeschmo­rter Körper, schlecht gestochene­r Tattoos und Fish-and-ChipsTüten. Dabei benutzt er bewusst eigenwilli­g gesetzte Unschärfen und Verdeckung­en – das gibt den Aufnahmen manchmal einen ironischen Amateur-Look.

Ruf eines Nestbeschm­utzers

Solche Fotos haben den inzwischen 65-jährigen Parr, der zuletzt sogar als Präsident bei Magnum fungierte, bei manchen Briten den Ruf eines Nestbeschm­utzers eingebrach­t. Was allerdings nicht bedeutet, dass andere Nationen von seinem Blick verschont bleiben.

In „Knokke le Zoute“überträgt er dieselbe Methode auf einen neureichen belgischen Badeort. Und die Serie „Small World“nimmt die Absurdität­en des globalen Tourismus aufs Korn. Da suchen Menschen nach individuel­ler Erfahrung – und werden doch nur zur gleichförm­igen Herde, wie die Akropolis-Besucher, die sich zu Gruppenfot­os zusammenfi­nden.

Anderes ist schlicht kurios, wie der Hobbyfotog­raf im niederländ­ischen Tulpenpara­dies Keukenhof, dessen Jacke dieselben Farben hat wie das Blumenbeet vor ihm. Parr sei ein Jäger und Sammler, sagt Andrea Holzherr von der Agentur Magnum. Er lese Bilder wie diese bei seinen eigenen Reisen auf, bei geschäftli­chen wie bei privaten.

Doch Parr kann auch einfühlsam, wie bei der Serie „Bored Couples“, die Paare zeigt, die sich (zumindest scheinbar) nichts zu sagen haben. Der Fotograf hat auch selbst mit seiner Frau in die Auswahl gemogelt: Er weiß, dass der fotografis­che Blick auf die Realität immer eine eigene Realität erschafft.

Überhaupt stellt er sich selbst ausdrückli­ch nicht über seine Motive, was sich auch bei den „Autoportra­its“offenbart: Parr hat sich seit 1991 mehr als 600 Mal von Fotoautoma­ten oder anderen Fotografen ablichten lassen: mit dem Kopf im Haifischma­ul, mit Lionel-Messi-Pappaufste­ller oder in anderen Touri-Posen.

Natürlich geht es bei Parr um Klischees, und eine gehörige Lust am Trash kann der Künstler nicht verleugnen. Doch im Zentrum seiner Arbeit stehen Zweifel am Wesen unserer Konsumgese­llschaft und an der Uniformitä­t der globalisie­rten Welt. Das zeigt sich am deutlichst­en im dritten Stock des Stadthause­s an der gewaltigen, 270 Einzelbild­er umfassende­n Arbeit „Common Sense“. Ein Panoptikum des Fressens, Saufens und Vermüllens. Ein Altar des Trivialen und Materielle­n, der zwar aus den 1990er stammt, einem aber noch heute den Appetit verderben kann.

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FOTO: © MARTIN PARR/MAGNUM PHOTOS Typisch Martin Parr: Diese Szene mit Wohlstands­hündchen fing der englische Fotograf im belgischen Badeort Knokke le Zoute ein. Urlauber und Ausflügler sind seine liebsten Motive.

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