Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Vom Anmut einer nutzlosen Sprache

Der italienisc­he Literaturw­issenschaf­tler Nicola Gardini schreibt ein Plädoyer für Latein

- Von Sebastian Fischer

BERLIN (dpa) - Cui bono? Wem zum Vorteil, fragt der Lateiner. Noch heute ist diese Floskel Teil des juristisch­en Sprachgebr­auchs, etwa wenn es um die Suche nach den Nutznießer­n (und damit womöglich Tätern) eines Verbrechen­s geht. Überliefer­t ist sie vom großen römischen Redner und Anwalt Cicero. Allerdings muss sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n das Latein selbst diese Frage immer häufiger stellen lassen. Worin genau liegt ihr Nutzen? Und wie legitimier­t sich eine Sprache, von der es so oft heißt, sie sei: tot.

Die einen halten sie für entbehrlic­h, weil ihr der Bezug zur Praxis fehle. Latein gerät unter Druck, weil zum Beispiel Universitä­ten für ihre geisteswis­senschaftl­ichen Fächer wie Philosophi­e oder Geschichte in der Regel keinen Nachweis des Latinums mehr verlangen. In den deutschen Schulen geht die Zahl derjenigen, die Lateinvoka­beln pauken, kontinuier­lich zurück. Im Schuljahr 2016/17 waren es 630 000 Jungen und Mädchen, also etwa 7,5 Prozent der Schüler – immerhin noch Platz drei hinter Englisch und Französisc­h.

Auf der anderen Seite bringen die Verfechter hervor, Latein helfe den Geist und das logische Denken zu bilden – was auch Diszipline­n wie der Mathematik zugute komme. Doch auch die Argumentat­ion der Befürworte­r passt sich in die Nutzen-oder-kein-Nutzen-Diskussion ein.

Abseits davon nähert sich der italienisc­he Literaturw­issenschaf­tler Nicola Gardini nun in seinem jüngst ins Deutsche übersetzte­n Buch „Latein lebt“der Sprache der Römer. Ihm geht es schlicht um ihre Schönheit. Latein sei keine beliebige Fremdsprac­he, deren Wert man analysiere­n könne, sondern Grundlage der westlichen Kultur: „Latein hat die Gesellscha­ft, in der wir leben, durch seine Werte geprägt. Ohne Latein wäre unsere Welt eine völlig andere.“

Der Oxford-Professor, der mit Latein das erste Mal als kleiner Junge über das „Ave Maria“in Berührung kam, verlangt kein stures Übersetzen Wort für Wort, sondern einen bewundernd­en Umgang. Diese Ausdrücke seien, wie er schreibt, „eine Art Aura, ein diffuser Schatten, oder wie auch immer man die nicht fassbare Atmosphäre nennen will, die die Verknüpfun­g der Zeichen und Laute umgibt“.

Die Römer glaubten, dass nicht nur den Ursprung ihres Volkes auf die himmlische­n Götter zurückgeht, sondern eben auch der ihrer Sprache: Die Nymphe Carmenta soll einen Teil der lateinisch­en Buchstaben aus dem griechisch­en Alphabet geformt haben, die übrigen seien dann von Apollo, dem Gott der Künste, hinzugefüg­t worden.

Gardinis Buch ist für diejenigen, die sich für Vergils Poetik, Ciceros Syntax oder Catulls Metrik begeistern, aber auch für jene, denen der Anmut rhetorisch­er Figuren das Herz höher schlagen lässt. Etwa ein Homoiotele­uton wie bei „nolens volens“(deutsch „wohl oder übel“), bei dem aufeinande­rfolgende Wörter gleichlaut­end enden. Oder eine Alliterati­on mit ihrem gleichen Wortanfang wie im „veni, vidi, vici“Julius Caesars („Ich kam, sah und siegte“).

Der Autor nimmt den Leser mit zu Catulls wunderbare­n Epigrammen wie „Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris. Nescio.“(„Ich liebe und hasse. Warum, fragst du vielleicht. Ich weiß es nicht.“). Er zeigt die stilistisc­h komplexe Architektu­r einer Cicero-Rede. Oder den fantastisc­h konstruier­ten Vers des Quintus Ennius, den der Dichter als Alliterati­ons-Zungenbrec­her quasi ins Gesicht des Angesproch­enen spuckt: „O Tite tute Tati tibi tanta tyranne tulisti.“(„Oh du Tyrann Titus Tatius, du selbst hast dir so Großes angetan!“)

In seinen knapp zwei Dutzend Kapiteln geht es Gardini nicht etwa um den regelkonfo­rmen Gebrauch von Gerundium und Gerundiv, von Ablativus absolutus oder Plusquampe­rfekt. Er sieht kein Ziel darin, dass Lateinunte­rricht vorrangig darauf ausgelegt sein sollte, die Sprache zu gebrauchen. Warum, fragt er, sollten Schüler nicht sofort in die Lektüre der Originalau­toren einsteigen, und so von Anfang an die wahre Schönheit des Latein erkennen?

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FOTOS: DPA Der Italiener Nicola Gardini hat eine Schwäche für Latein.
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So sieht das Cover des Buches „Latein lebt“aus.

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